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Die Prophetin

Die Prophetin

Titel: Die Prophetin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: wood
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gekauft.«
    »Wohin?«
    »Zum Besuch beim Präsidenten«, erwiderte Raphael und grinste.

    Der elfte Tag

    Freitag,
    24. Dezember 1999

    Die Liebe kam auf völlig unerwartete Weise. Als Grieche hielt Philos nichts davon, daß sich Frauen in Geschäften, im Handel oder in einem Beruf betätigen. Der Platz einer Frau sei im Haus, sagte er, am Herd und bei der Familie. Da ich keine Familie hatte, um die ich mich hätte kümmern müssen, und da mein Ehemann nur selten zu Hause war, konnte ich mir meinen Traum erfüllen und die Botschaft des Gerechten verbreiten.
    Philos war den ganzen Tag bei den Männern in der Stadt, Er kam abends nach Hause und erzählte mir, wie er den Tag verbracht und was er gelernt hatte. Doch wenn ich anfing, ihm von meinem Tag zu erzählen und davon, was ich gelernt hatte, hörte er mir nicht zu, verschwand nach kurzer Zeit unter irgendeinem Vorwand in seinem Arbeitszimmer und schloß die Tür. Ich weiß, er war der Meinung, die täglichen Ereignisse einer Frau seien für ihn nicht wichtig.
    Philos ahnte nicht, was ich während meiner Freundschaft mit Satvinder gelernt hatte. Ebensowenig wußte er, daß ich regelmäßig in das Hospital im Isistempel ging und den Schwestern half, die Kranken und Sterbenden zu pflegen. Ich konnte etwas medizinischen Beistand leisten, aber meist saß ich nur an den Betten der Sterbenden und versuchte, ihnen den Weg in die nächste Welt zu erleichtern.
    Und so kam es, daß ich beobachten konnte, auf welch unterschiedliche Weise die Menschen sterben.
    Ich sah, daß es Menschen gibt, die den Tod in Würde und Ruhe erwarten, und daß andere unruhig werden und Angst bekommen. Für manche Menschen ist der Tod wie ein langer Schlaf, andere fürchten sich nach dem Übergang in die Geisterwelt vor schrecklichen foltern und großen Qualen, und wieder andere haben viele Fragen.
    Ich erlebte oft, wie die Kranken die Augen schlossen und ihren letzten Atemzug taten. Ich hielt Ausschau nach der davonfliegenden Seele, aber ich habe sie nie gesehen. Die Ägypter glauben, die Seele verlasse den Körper durch die Nase in Gestalt eines Vogels. Viele behaupten, das gesehen zu haben.
    Ich habe es nie beobachtet.
    Während der Wochen und Monate im Isistempel wurde ich Zeugin einer universellen Wahrheit: Wir sterben alle, aber wir sterben auf unterschiedliche Weise und jeder zu einem anderen Zeitpunkt in seinem Leben. Doch der Weg lehrt, daß nur jenen, die der Botschaft des Gerechten folgen, ein Leben nach dem Tode bestimmt ist. Alle anderen werden zugrunde gehen. Wenn ich an den Betten der Menschen mit einem starken Glauben saß und bei anderen, die sich ohne jeden Glauben auf den Weg in das Jenseits vorbereiten mußten, sprach ich zu ihnen von der Botschaft des Gerechten, der zu uns gesagt hat: »Ich bin vor der Zeit von allem, das da ist, ich bin am Ende aller Dinge, die da sind und kommen, und ich lebe. Ich habe den Tod erlitten und das Leben gefunden. Ich halte die Schlüssel des Todes und des Lebens in meiner Hand, fürchtet euch nicht, sondern glaubt.« Jene, die diese Botschaft annahmen, starben in frieden. Doch es gab andere, die nichts davon hören wollten. Anhänger anderer Religionen glaubten, daß sie sich auf die Reise an einen neuen Ort begaben.
    »Wir werden dort einen neuen Körper bekommen«, sagten die einen. »Mein Geist wird dorthin gehen, wo meine Ahnen sind«, sagten die anderen.
    Manche waren davon überzeugt, als Wind über die Welt zu wehen oder auf alle Ewigkeit in dunkle Höhlen hinabzusteigen. Ich hörte ihnen zu und lernte etwas über die vielen Vorstellungen vom Leben nach dem Tod. Aber meine Verzweiflung wuchs, weil wir, die Anhänger des Gerechten, niemals alle rechtzeitig mit seiner Botschaft erreichen können.
    Ich wollte mit Philos darüber sprechen. Aber er war mit seiner Alchimie beschäftigt und mit der Suche nach einem Elixier, das ewiges Leben schenkt. Er zog sich in sein Arbeitszimmer zurück, schloß die Tür und arbeitete bis spät in die Nacht. Er las und führte Experimente durch, denn ihn trieb der Wunsch, die Wahrheit der alten Überlieferungen zu beweisen, über die andere spotteten. So kam es, daß er nicht länger mein Mann war, sondern ein Fremder, in dessen Haus ich lebte. Eines Abends brachte man einen Verletzten zu uns, in dessen Bein eine Pfeilspitze steckte. Philos untersuchte ihn und erklärte, der Pfeil könne nicht herausgezogen werden. Er wollte den Mann in einen künstlichen Schlaf versetzen und den Pfeil dann mit einem

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