Die Prophetin
Fragment betrifft, so war ich zunächst von seiner Echtheit überzeugt…«
»Merkwürdig«, murmelte Catherine und ging näher an das Fernsehgerät heran. Sie betrachtete prüfend das in der rechten oberen Ecke eingeblendete Bild des Fragments und sagte: »Wenn ich das doch gedruckt sehen könnte…«
»Kein Problem«, rief Garibaldi. »Wenn die Neuigkeit gestern abend in Ägypten bekannt geworden ist, wird heute wahrscheinlich etwas darüber in den Morgenzeitungen stehen. Ich bin gleich wieder da.«
Garibaldi mußte nicht weit gehen. Die Samstagszeitung lag im Wohnzimmer, und alle sechs Gäste, die Weihnachten bei Mrs. O’Toole verbrachten, hatten sie bereits gelesen. Als Garibaldi in Catherines Zimmer zurückkam, wurde gerade die Direktorin der Stiftung interviewt. Ein Reporter fragte: »Wir haben gehört, daß die Stiftung Dr. Alexander in einem Brief gedroht hat, ihr die Mittel zu streichen, falls die Grabung nicht bald Erfolge vorweisen würde. Stimmt das?«
»Dazu kann ich leider nichts sagen.« Garibaldi sah Catherine an. »Ist das wahr?« Sie machte ein finsteres Gesicht. »Ja.«
»Dann unterstellen sie…«
»Daß ich die Schriftrollen gefälscht habe, um mein Projekt weiterführen zu können.«
»Dahinter muß Havers stecken«, sagte Garibaldi und gab ihr die Zeitung. Der Artikel stand auf der ersten Seite. Dazu gab es Photos von Catherine, von Nicholas Papazian, der Fundstelle und dem Jesus-Fragment.
Darüber stand als Schlagzeile: ›FÄLSCHUNG!‹
»Warum steht das auf dem Titelblatt?« fragte Catherine kopfschüttelnd. »Es gibt doch auch noch andere Neuigkeiten auf der Welt.«
»Ich nehme an, eine Menge Leute haben sich große Hoffnungen gemacht, daß in den Schriftrollen ein Hinweis auf die Zeitenwende zu finden ist. Oder daß sie vielleicht das Geheimnis enthüllen, wie die Menschen das ewige Leben finden können. Wer weiß, was unter dem Einfluß der Medien in den Köpfen der Menschen auf aller Welt für Erwartungen geweckt worden sind? Die Nachricht heute wird für viele wie eine eiskalte Dusche sein. Insofern ist das mit der angeblichen Fälschung eine Sensation, die sich weder das Fernsehen noch die Zeitungen entgehen lassen.«
Im Fernsehen erklärte gerade eine Wissenschaftlerin aus Denver: »Unserem Institut wurde ein winziger Teil des Fragments zur Verfügung gestellt. Wir haben Tintenpartikel abgelöst und sie unter dem Elektro-nenmikroskop analysiert. Dabei hat sich gezeigt, daß die Tinte Anatas, also Titandioxyd enthält, das erst in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts erfunden wurde. Da es jedoch möglich ist, daß ein altes Dokument winzige Spuren von Anatas aufweist, wurde die Tinte mit einem Röntgenverfahren untersucht, und dabei stellte sich heraus, daß sie eine ganze Menge Anatas aufweist. Das bedeutet, die Tinte stammt aus neuerer Zeit.«
Garibaldi warf einen Blick auf Catherine, die fassungslos vor dem Bildschirm stand. »Kein Mensch wird mir glauben«, sagte sie. »Nicholas Papazian bekommt plötzlich ein schlechtes Gewissen und beschließt zu gestehen, daß er die Handschrift gefälscht hat. Dann bestätigen alle namhaften Experten und angesehenen Wissenschaftler, daß es sich bei dem Dokument tatsächlich um eine Fälschung handelt. Trotzdem sind die Schriftrollen nicht gefälscht.«
»Hat jemand die Schriftrollen außer Ihnen und Daniel gesehen?«
»Julius«, erwiderte sie. »Er könnte bezeugen, daß sie echt sind. Aber ich werde ihn nicht in diesen Fall hineinziehen. Es tut mir schon leid, daß Sie…« Catherine schlug die Hände vor das Gesicht. »Gott, was für ein Durcheinander habe ich angerichtet.« Garibaldi beugte sich über sie. »Machen Sie sich jetzt keine Vorwürfe. Das hilft uns nicht weiter. Wir müssen herausfinden, was dieser Schachzug bewirken soll. Was gewinnt Havers, falls er dahintersteckt?« Catherine sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Sie war leichenblaß. Sie hatte Angst, und sie war verzweifelt. »Vielleicht glaubt er, ich werde die Schriftrollen he-rausgeben. Vielleicht rechnet er auch damit, daß er mich reizt, und daß ich aus meinem Versteck auftauche, um mich zu verteidigen. Aber wir sind nicht einmal sicher, daß sich Havers das Ganze ausgedacht hat.« Sie überflog den Zeitungsartikel noch einmal. Offenbar war der ägyptischen Regierung die Sache peinlich, sie übte harte Kritik an Catherine. Das Ministerium in Kairo forderte sie ultimativ zu einem Gespräch auf und erklärte, die Behörde werde die Grabungen an der
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