Die Prophetin
Wagen gesetzt und war zurück zum Hotel gefahren, um den Mann in Kairo über den neuesten Stand der Dinge zu informieren.
»Also, Gentlemen«, sagte er jetzt. »Sie wollen die Sammler sein?« Er grinste. »Wenn mich nicht alles täuscht, machen Sie das Geschäft doch für einen anderen.«
Hungerford hatte sofort erkannt, daß die beiden nicht das große Geld hatten.
Leibwächter oder Abenteurer, dachte er schon beim Betreten des Zimmers.
Der eine Mann blieb stumm, nur der andere, der sich als ›Zeke‹ vorgestellt hatte, redete. Er war nicht groß, bestand aber fast nur aus Muskeln und hatte kurz geschnittene weißblonde Haare, ausdruckslose graue Augen und eine Narbe auf der einen Gesichtshälfte, die vom Haaransatz über die rechte Augenbraue, das rechte Auge und den rechten Mundwinkel bis zum Kinn reichte. Es war nicht schwer zu erraten, daß dieser Typ schon mehr als einmal um sein Leben gekämpft hatte. Offenbar waren seine Gegner bis jetzt immer die Schwächeren gewesen.
Zeke lächelte. »Unser Auftraggeber möchte anonym bleiben.« Hungerford zuckte die Schultern. »Ich habe nichts dagegen! Nennen Sie die Summe, Gentlemen. Was bietet Ihr Boß?«
Daniel las leise: ›… ich weiß um das Ende aller Dinge und um die Wiederkunft des Gerechten.‹
Er sah Catherine erstaunt an. »Bist du sicher, daß das richtig übersetzt ist? Ich meine… das ist nicht zu fassen. Sie spricht eindeutig vom Jüngsten Gericht‹…«
»Überzeuge dich selbst.« Sie deutete auf eine Zeile des Fragments.
Daniel kniff die Augen zusammen und nickte. Dann murmelte er: »Wenn bekannt wird, daß eine Jesus-Schriftrolle gefunden wurde, in der steht, wann genau der Weltuntergang…« Er verstummte.
»Das ist ein Grund, weshalb ich keinem Menschen etwas davon gesagt habe.«
»Was steht noch in dem Brief?«
Catherine übersetzte direkt vom Original: »Bevor ich meine Geschichte erzähle, liebe Amelia, erinnere ich Dich an meine Warnung. Perpetua hat mir von den großen Leiden unserer Schwestern berichtet, und daß wir nach all den Jahren der Gleichberechtigung mit den Männern in unserer Gemeinschaft jetzt zu Schweigen und Absonderung verurteilt worden sind. Ich möchte unter keinen Umständen, daß Schwestern unserer Gemeinschaft meinetwegen verfolgt werden. Wenn das, was ich Dir mitzuteilen habe, bei den Männern Empörung auslöst und sie Dich deshalb bestrafen wollen, dann nimm diese Bücher mit zu König…«
Daniel sah sie an. »Warum schweigst du?«
»Der Text endet hier auf dieser Seite.« Sie hielt die Lupe über die zweite Spalte und las weiter: »›… Tymbos, damit sie in Sicherheit sind.‹«
»König Tymbos! Wer ist das?«
»Keine Ahnung.«
Daniel fuhr sich mit der Hand durch die Haare und ging nachdenklich auf und ab. Durch eine der Zeltklap-pen drangen von draußen Stimmen herein. Jemand rief den Neugierigen zu, sie sollten die Absperrung nicht übertreten. Er blieb stehen und drehte sich um. »Die ›Gemeinschaft‹«, sagte er. »Glaubst du, sie meint damit die Frühchristen?«
Catherine ging zu ihrem Koffer und schloß energisch den Deckel. Dann zog sie ihre Reisetasche unter dem Feldbett hervor. »Das werde ich wissen, wenn ich alle Schriftrollen übersetzt habe.«
»Was für Schriftrollen sind das? Unbekannte Evangelien?«
»Ich weiß nicht, aber ich glaube, es fehlt ein Buch.«
»Wie kommst du darauf?«
Catherine ging zum Arbeitstisch zurück. »Sie waren alle in dem Korb. Ich habe keinen Hinweis darauf, daß noch andere Bücher mit ihnen vergraben worden sind. Aber sieh dir die letzte Seite von Buch sechs an…
hier!« Sie deutete auf die letzte Zeile der letzten Seite. »Lies das…«
»Mein Altgriechisch ist nicht sehr gut«, erwiderte er. »Aber ich glaube, da steht: ›… und ich hatte Angst…‹«
» Das stimmt nicht ganz. Dieses Wort hier hat seinen Ursprung in dem Wort ›phobos‹, und eine etwas genauere Übersetzung wäre demnach: ›Ich fürchtete mich vor…‹«
»›Vor…‹?«
»Sie fürchtete sich vor etwas. Der Satz ist nicht zu Ende. Es fehlt ein Wort. Das weist darauf hin, daß die Geschichte weitergeht. Es müßte also mindestens noch eine Seite oder eine siebte Schriftrolle geben.«
Catherine nahm ihre Jacke vom Haken und legte sie auf den Koffer. »Ich habe eine Papyrus-Probe in die Schweiz geschickt, damit man dort so schnell wie möglich eine genaue Altersbestimmung mit der Radiokarbonmethode vornimmt.«
»Hans Schüller?«
Sie nickte. »Ich kann ihm vertrauen.
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