Die Prophetin
›Hier ist das Geld.‹«
»Fertig?« fragte Catherine und nahm die Reisetasche vom Bett. Sie verstummten und lauschten auf die Musik der Beduinen, die zusammen mit dem Rauch von brennendem Kamelmist und süßlichen Ha-schischwolken in den dunklen Himmel stieg. »Fertig«, flüsterte Daniel. Catherine zögerte.
»Danno…« Sie legte ihm die Hand auf den Arm. »Es tut mir leid, aber ich habe mich noch nicht einmal nach deinem Projekt erkundigt, nach den Wandmalereien in dem Königsgrab. Du bist um die halbe Welt geflogen und mußt völlig erschöpft sein. Ich sollte das nicht von dir verlangen. Du brauchst dringend Schlaf…«
»Im Augenblick habe ich den Eindruck, eine ganze Woche lang nicht mehr schlafen zu können!«
Bei seinem Anruf aus Chiapas hatte er nichts von seiner Entdeckung erwähnt, denn er wollte Cathy alles beim Wiedersehen erzählen. Für ihn war es in diesem besonderen Augenblick das Schönste gewesen, von Catherine zu hören: ›Du mußt unbedingt kommen!‹
Aber die Lage im Sinai war keineswegs zum Feiern geeignet. Cathy brauchte seine Hilfe. Es war nicht der richtige Zeitpunkt, ihr von seinen Erfolgen zu berichten. Er freute sich mit ihr über den sensationellen Fund, und das genügte. Später, in Kalifornien, konnte er ihr alles von sich erzählen. Sie würden feiern, sie beide ganz allein. Vielleicht würde er dann sogar den Mut aufbringen, ihr seine Liebe zu gestehen…
Als Catherine nach der Jacke griff, fiel die International Times vom Vortag aus der Tasche. Daniel hob sie auf und sah auf der ersten Seite den Bericht über die Verrücktheiten und Exzesse, die in Erwartung der bevorstehenden Jahrtausendwende überall auf der Welt begangen wurden – Feste auf der Queen Elizabeth II und auf dem Eiffelturm, Schwarze Messen in den Höhlen von Karlsbad und in Machu Picchu. Besonders Kluge hatten Flugzeuge gechartert, um in den Südpazifik zu fliegen, wo die internationale Zeitgrenze zwischen zwei Inseln verlief, so daß sie das neue Jahr gleich zweimal feiern konnten.
»Cathy«, fuhr Daniel fort. »Stell dir vor, was geschieht, wenn diese Schriftrollen das endgültige Aus für die katholische Kirche als Institution bedeuten. Ich meine, ist es wirklich nur ein Zufall, daß sie gerade jetzt gefunden wurden… zwei Wochen vor Anbruch des neuen Jahrtausends? Und was ist, wenn uns die fehlende siebte Schriftrolle wirklich das genaue Datum und die Zeit des Weltuntergangs verrät?«
»Das werden wir alles wissen, wenn wir die Schriftrollen übersetzen.« Sie griff nach ihrem Koffer. »Gehen wir?« Catherine warf einen vorsichtigen Blick aus dem Zelt, wich aber sofort wieder zurück. »Was ist?«
fragte Daniel.
»Wieder dieser Priester! Er unterhält sich mit einem meiner Leute, und sie stehen ausgerechnet in der Nähe des Landrovers. Sie werden uns sehen!«
»Na und?«
»Er wird sich mit uns unterhalten wollen. Dann merken meine Leute, daß ich abreisen will.«
»Und was jetzt?« fragte Daniel.
»Mr. Hungerford«, Zeke trat in den Lichtkreis der schwachen Stehlampe und verließ ihn sofort wieder, die Sonne war untergegangen, und im Zimmer wurde es dunkel, »ich möchte Ihnen ein paar Informationen über den illegalen Handel mit Altertümern und Antiquitäten geben. Es gibt ein Gesetz, dessen Einhaltung von der UNESCO überwacht wird. Danach muß jedes Stück, das aus einem Land geschmuggelt wird, an seinen Ursprungsort zurückgebracht werden. Als dieses Gesetz verabschiedet wurde, trat es rückwirkend in Kraft. Das führte zum Beispiel dazu, daß Sammler, die viel Geld in alte Papyri investiert hatten, ihre Sammlungen nicht mehr öffentlich machen konnten. Dies wiederum löste einen interessanten Preisanstieg aus, und der illegale Handel mit diesen Dingen spielt sich seitdem nur noch unter Ausschluß der Öffentlichkeit ab. Können Sie mir folgen?«
Hungerford runzelte verwirrt die Stirn. »Ich bin nicht sicher…« Zeke trat so nahe an ihn heran, daß Hungerford die weißen Pünktchen um die Narbe sah, die Zekes Gesicht durchschnitt. »Also werde ich mich deutlicher ausdrücken«, sagte Zeke freundlich. »Der illegale Handel mit Schriftrollen wurde für viele Händler zu riskant. Deshalb beschränkt er sich mittlerweile auf eine Reihe ausgewählter Familien. Diese Familien besitzen ein unglaublich wirkungsvolles Nachrichtennetz, Mr. Hungerford, das Sie in Staunen versetzen würde. Das Netz sorgt dafür, daß sie im Handumdrehen alle Gerüchte, Hinweise und Geschichten über mögliche
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