Die Prophetin
durch den Glauben an seine Botschaft den Tod überwinden könnten.
Und was war mit denen, die die Botschaft des Gerechten nie hörten? Wie konnten sie den Weg finden?
Damals begriff ich plötzlich den Sinn meines Lebens. Als ich die tiefe Verzweiflung meiner Mutter sah, die ihren Sohn und ihren Mann verloren hatte, die beide ins Nichts sanken, weil sie die Botschaft des Gerechten nicht kannten, wußte ich, daß ich Antiochia und meine Mutter verlassen mußte, um aller Welt die Botschaft zu bringen.
Aber eine Frau kann nicht allein durch die Welt reisen. Am Vorabend der Abreise von Philos ging ich zu ihm in sein Zimmer in dem Gasthaus, in dem er wohnte, und bat ihn, mich mitzunehmen. Ich wollte ihn unter allen Umständen dazu übereden. Ich war damals achtzehn. Es war das vierte Jahr der Herrschaft des Kaisers…
Der sechste Tag
Sonntag, 19. Dezember 1999
Sacramento, Kalifornien
Catherine sah schon von weitem, daß am frühen Sonntagmorgen nur wenige Fahrgäste am Busbahnhof warteten. Garibaldi war wie erwartet zur Kirche gefahren. Während er im Bad unter der Dusche stand, hatte sie sich telefonisch nach den Abfahrtszeiten der Busse erkundigt. In Kürze würde sie unterwegs nach Seattle sein, ohne daß er etwas davon ahnte. Sie ließ den Taxifahrer direkt gegenüber dem Busbahnhof halten, zahlte mit ihrer Kreditkarte, hängte sich die blaue Tasche über die Schulter, nahm den Laptop in der Tragetasche in die eine Hand und faßte mit der anderen kurz an den Jade-Jaguar, bevor sie die Straße überquerte.
Der Anhänger ließ sie an Danno denken und erinnerte sie daran, was sie tun mußte.
Catherine schlich sich nur ungern heimlich davon, aber es blieb ihr keine andere Wahl. Garibaldi wollte sie nicht ihrem Schicksal überlassen. Und sie fürchtete, ihn könne dasselbe Schicksal ereilen wie Danno. Sie wollte nichts anderes, als ein paar Tage ungestört sein, um die Schriftrollen in aller Ruhe zu übersetzen…
Vor den Zeitungsständern am Straßenrand blieb Catherine plötzlich wie angewurzelt stehen.
Sie sah auf der Titelseite der Sonntagszeitung ihr Gesicht. Unter ihrem Porträt entdeckte sie ein Photo des Jesus-Fragments. Neben ihr hielt mit quietschenden Bremsen ein Wagen. Sie fuhr zusammen, aber als sie sah, daß Garibaldi ihr die Wagentür aufhielt, sprang sie ohne Zögern hinein.
»Ich dachte, Sie seien in der Kirche…«, murmelte sie mit hochrotem Kopf. »Ich hatte mein Brevier vergessen und mußte zurück ins Motel.«
Er deutete auf das Buch, das auf der Ablage neben dem Lenkrad lag. »Sie waren nicht mehr da, und mit Ihnen waren alle Ihre Dinge verschwunden… die blaue Tasche, der Laptop… alles!«
»Tut mir leid«, sagte sie und spürte, daß ihr Herz heftig schlug. Das Porträt auf dem Titelblatt der Zeitung sah ihr sehr ähnlich. »Ich dachte, es sei das beste für uns beide, wenn ich die Sache allein zu Ende bringe.«
»Du meine Güte! Zuerst dachte ich, Ihnen sei etwas zugestoßen.« Er seufzte laut. »Haben Sie wirklich geglaubt, ich würde einfach sagen: >Also gut, sie ist weg. Dann fliege ich nach Chicago^«
»Vater Garibaldi, ich bin in großen Schwierigkeiten. Bitte machen Sie mir keine Vorwürfe.«
Er bog in den Parkplatz des Motels ein, und als er anhielt, griff sie nach dem Brevier und reichte es ihm mit den Worten: »Seite einundfünfzig, 19. Dezember.«
Er schlug das Buch auf, und ein gefaltetes Blatt Papier fiel heraus. Sie hatte nicht viel geschrieben.
›Verzeihen Sie mir, Vater Garibaldi, aber ich glaube, es ist für uns beide das beste, wenn wir uns trennen.
Da ich Sie nicht davon überzeugen kann, mich allein weiterfahren zu lassen, gehe ich, ohne mich von Ihnen zu verabschieden. Vielen Dank für Ihre Hilfe. C. A.‹
Er legte das Blatt zurück in das Buch und räusperte sich. Als sie wieder in ihrem Motelzimmer standen, sagte er: »Tut mir leid. Ich bin auch nur ein Mensch, und manchmal reagiere ich unüberlegt. Verzeihen Sie mir, ich hätte Ihnen keine Vorwürfe machen dürfen. Aber als ich auf dem Tisch die Abfahrtszeiten der Busse sah, war ich empört und…«
»Vater Garibaldi«, unterbrach sie ihn. »Ich bin wirklich in großen Schwierigkeiten.« Sie reichte ihm die Zeitung. Er blickte verblüfft auf das Porträt, das Jesus-Fragment und auf die Schlagzeile:
›VERRÄT DAS JESUS-FRAGMENT DAS GENAUE DATUM DES JÜNGSTEN GERICHTS?‹
»In dem Artikel steht, daß die Polizei mich in Verbindung mit Dannos Ermordung sucht. Sehen Sie sich das Bild an. Man
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