Die Prophezeiung
noch nicht einmal nach Vancouver transportieren.«
»Das kriegen die schon hin.« Es war die einzige Floskel, die Katie einfiel.
»Kapierst du nicht? Er ist ins Koma gefallen, und je länger das so bleibt, desto unwahrscheinlich ist es, dass er wieder aufwacht.«
Was wollte David ihr sagen? Dass Benjamin sterben könnte?
Warum fühlte sie dann nichts außer diesem flauen Gefühl im Magen? Sie hatte das Abendessen ausgelassen und sich sofort in ihr Zimmer zurückgezogen. Die anderen hatten sich in der Pizzeria getroffen, die Anfang des Jahres im neuen Teil des Campus unter dem Namen College-Pizza eröffnet hatte. Katie war erst einmal dort gewesen. Der Platz war eng, die Luft stickig – und mehr Menschen als einen pro Quadratmeter konnte sie nicht ertragen, gerade heute nicht.
David beobachtete sie.
»Was erwartest du denn, das ich unternehme?«, fragte Katie.
David blickte sie eindringlich an. »Wenn sie nicht wissen, was er genommen hat, dann können sie ihm nicht helfen.«
»Ich habe keine Ahnung, was er geschluckt hat. Woher auch? Ich rühre keine Drogen an. Ich bin Sportlerin.«
»Das meinte ich auch nicht.«
»Sondern?«
»Wir müssen es herausfinden.«
»Ich muss gar nichts. Und kannst du mich jetzt damit in Ruhe lassen? Ich muss lernen.«
»Du bist nicht halb so gleichgültig, wie du tust«, hörte sie David murmeln. »Und du hast versprochen, ihm zu helfen.«
Er drehte sich um, als sie ihm nachrief: »Und du bist mit Sicherheit nicht halb so heilig, wie du tust.«
An der Bewegung seiner Schulter konnte sie erkennen, wie der Satz ihn getroffen hatte. Dabei war er ihr nur so herausgerutscht.
Die Tür fiel krachend ins Schloss. Katie stand auf und trat ans Fenster. Sie beobachtete den Vollmond, der eingehüllt von einem blassen Hof am Himmel stand. Ihr Blick folgte den Fetzen von Wolken, die rasend schnell an ihm vorbeizogen, bis sie endgültig hinter der runden Kuppe des Ghost verschwanden.
Vielleicht würde sie es schaffen, sich mit einem Buch abzulenken. Sie kauerte sich in ihrem Schaukelstuhl zusammen, der quietschend hin und her schwang, und griff nach This Game of Ghosts. Das Buch schien auf gespenstische Weise für sie geschrieben worden zu sein. Doch heute konnten die Texte über die Faszination des Bergsteigens die Wirklichkeit nicht verdrängen. Die erschreckende Offenheit, mit der Joe Simpson seine Sucht beschrieb, weckte in ihr nur die altbekannte Unruhe.
Es gab Dinge im Leben, die man einfach tun musste. Ohne Frage nach dem Warum.
Und anderes konnte man bleiben lassen, oder?
Zum Beispiel, sich um Benjamin Sorgen zu machen. Oder den Bullshit, den er in seinem Drogenwahn von sich gegeben hatte, wirklich ernst zu nehmen. Sie wollte sich nicht damit beschäftigen. Wollte sich nicht damit auseinandersetzen, weshalb er ausgerechnet sie um Hilfe gebeten hatte.
Waren sie Freunde?
Nein.
Aber Schicksalsgenossen.
Und das war eine Beziehung, die auf einem Berg zwischen Leben und Tod entscheiden konnte. Und sie durfte nicht seinen Auftritt am See vergessen. Seine Fragen nach Paul Forster und – dem Duke.
Was hatte Benjamin von ihrem Telefongespräch mitbekommen? War sein Gerede wirklich nur dem Drogenwahn geschuldet, einem Horrortrip, von dem er nicht mehr herunterkam?
Nein. Dahinter steckte noch etwas anderes. Aber was hatte das mit ihr zu tun?
Zum Teufel, wie hatte sie ihm auch versprechen können, ihm zu helfen?
Wobei?
Als ob es nicht reichte, dass schon Sebastien dort in seinem Zimmer lag, angekettet an Schläuchen und Maschinen, die ihn dazu zwangen dahinzuvegetieren, während seine Seele sich auf geheimnisvolle Weise aus dem Staub gemacht hatte.
Mit einer abrupten Bewegung stoppte Katie den Schaukelstuhl.
Zum Teufel!
Vor allem zum Teufel mit dir, Benjamin Fox.
Das Apartment 113, das sich Benjamin mit Chris, David und Robert teilte, war leer.
Katie stieß die Tür zu Bens Zimmer auf und wusste nun endgültig, dass etwas nicht stimmte. Benjamin Fox verkörperte normalerweise das pure Chaos. Jedes Mal, wenn Katie einen Blick in sein Zimmer geworfen hatte, war sie vor der Unordnung und dem Durcheinander zurückgeschreckt. Als gäbe es in diesem Zimmer keine Schränke oder Regale, besaß Benjamin die Angewohnheit, seinen ganzen Besitz im Zimmer zu verteilen.
Nur so könne er den Überblick bewahren, das war sein Credo. Schränke und Schubladen seien etwas für Menschen, die zu faul und phlegmatisch waren, um zu suchen. Und – Alexander Fleming hätte das Penizillin nicht
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