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Die Prophezeiung

Die Prophezeiung

Titel: Die Prophezeiung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krystyna Kuhn
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tatsächlich die Kamera, sicher in einer Innentasche verstaut.
    Na bitte, dachte sie. Das war leicht.
    Zu leicht. Und jetzt erst fiel Katie auf, was das bedeutete: Ben hatte zum ersten Mal, seit sie ihn kannte, ohne Kamera sein Zimmer verlassen.
    Das Apartment von Robert, David und Chris war immer noch verwaist, aber Katie war es ganz recht so. Weder vom Flur noch vom Campus drang ein Geräusch zu ihr ins Zimmer. Man hätte die Fliegen an der Wand hören können – nun ja, hätte es im Tal welche gegeben.
    Sie schaltete das Licht aus und setzte sich an Benjamins Schreibtisch. Es dauerte einige Minuten, bis sie verstand, wie die Kamera funktionierte. Konzentriert rief sie die letzten Aufnahmen auf.
    Nichts Ungewöhnliches, wie ihr schien.
    Der Lake Mirror. Das Wasser, das geradezu bedächtig gegen das Ufer schlug. Ein schmaler schneebedeckter Pfad. Und aus dem Lautsprecher Benjamins Atem, der die Anstrengung verriet, bei den Schneeverhältnissen vorwärtszukommen.
    Einen Moment später erkannte Katie, wo er gewesen war. Er hatte den Weg am Nordufer gewählt, in Richtung Gedenkstein. Bald war er an der Brücke angekommen, wo das windschiefe Geländer nur noch knapp einen halben Meter aus der dicken Schneedecke stach.
    Das nächste Bild zeigte den Wasserfall und Katie sah verblüfft, dass er zu einem grotesk aussehenden Gebilde aus Eiszapfen mutiert war. Der Sicherheitsdienst hatte schon vor Wochen Warnschilder aufgestellt und nicht nur den Weg zur Brücke, sondern auch den Übergang bis auf Weiteres gesperrt. Die Gefahr, von einem der Eisbrocken erschlagen zu werden, war zu groß.
    Auch war es den Studenten strengstens untersagt, den Wald in der Umgebung zu betreten, weil immer wieder Äste infolge ungewöhnlicher Schneelasten herunterstürzten. Im Grunde waren die Verbote und Warnungen diesmal überflüssig gewesen. Glatteis und hohe Schneeberge hatten das Betreten unmöglich gemacht.
    Allerdings hatte es die letzten Tage getaut. Der Weg und vermutlich auch die Brücke waren wieder passierbar. Und der Zaun zum Sperrgebiet dahinter hatte noch nie ein Hindernis für die Studenten am College dargestellt. Manchmal hatte Katie sogar das Gefühl, die Schilder zu den Sperrgebieten hingen nur deswegen da, weil sie die Studenten locken sollten, genau dorthin zu gehen. Konsequenzen hatte es jedenfalls nie gehabt, wenn man dort erwischt wurde. Oder zumindest keine wirklichen Konsequenzen.
    Die Kamera hielt einige Sekunden auf das knallgelbe Warnschild. Lebensgefahr. Vor dem Betreten wird gewarnt. Und Katie konnte sich richtig vorstellen, wie Benjamin sich gefreut hatte, dieses Verbot zu ignorieren.
    Die nächsten Aufnahmen zeigten die schneebedeckten hohen Tannen und knorrigen, schiefen Kiefern, die typisch für das Tal waren.Die Perspektive war äußerst direkt und intensiv. Katie hatte das Gefühl, sie selbst würde durch diese Schneelandschaft wandern, und sie hätte ewig so weitergehen können. Doch wieder erfolgte ein Schnitt: Das schneebedeckte Dach des Bootshauses tauchte auf.
    Die Kamera hielt auf den Steg, der weit in den See hineinreichte, wo das Wasser wieder leise gegen die Holzpfosten schwappte. Und dann wurde die Veranda groß aufgezogen, Benjamin schwenkte auf einen alten verlassenen Liegestuhl, dessen blauer Stoff aus dem Weiß aufblitzte.
    Die reinste Winteridylle.
    Sie hörte Benjamins Schritte, wie er die Stufen hochstieg und auf die morsche Tür zuging, die schief in den Angeln hing. Dann zeigte die Aufnahme das düstere Innere der Hütte. »Hey, wer immer sich das ansieht. Ich sag euch eines: Hier drin ist es sogar zum Pissen zu kalt«, hörte sie zum ersten Mal Benjamins Stimme und musste unwillkürlich grinsen.
    »Aber das ist nicht der Grund, warum ich hier bin. Nein, ich bin hier in geheimer Mission. Ein Wahnsinnstipp – von Mr Unbekannt.«
    Ja, hundert Prozent Ben. Sie vermisste ihn tatsächlich.
    Doch dieses Gefühl der Erleichterung hielt nicht einmal eine Sekunde, denn dann brach die Aufnahme plötzlich ab.
    Dunkelheit.
    Wie viel Zeit war vergangen, bis Benjamin die Kamera wieder angeschaltet hatte? Katie konnte es nicht sagen, denn er hatte die Datumsanzeige und die Zählfunktion deaktiviert. Doch das Bootshaus musste er wieder verlassen haben, denn die nächsten Bilder zeigten nichts als Landschaft. Wenn auch verschwommen, verwackelt und nur in Ausschnitten. Bildfetzen, die sich rasend schnell abwechselten. Wald, Schnee, Äste, ein Stück Himmel, ein Stück Erde, ein umgestürzter Baum, Moos,

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