Die Prophezeiung
sie, sondern das Display gerichtet.
»Hast du mich erschreckt, Rob! Kannst du nicht anklopfen?«
»Was machst du hier?«, wiederholte er.
»Wonach sieht es denn aus? Die anderen reden davon, wie schlecht es Benjamin geht, allen voran David. Aber keiner ist auf die Idee gekommen, ein paar Nachforschungen anzustellen. Ich habe seine Kamera gesucht, um wenigstens herauszufinden, wo er sich die letzten Tage herumgetrieben hat.«
»Und? Hast du etwas entdeckt?«
Katie hob die Schultern. »Fast nur Landschaftsaufnahmen. Offenbar war er im Sperrbezirk. Aber dann –« Sie brach ab.
Roberts Augen hinter der runden Brille wurden ganz schmal. »In welchem der Sperrbezirke?«, fragte er nachdenklich.
»An der Nordseite, in der Nähe des Solomonfelsens, wenn ich das richtig erkannt habe. Und da muss etwas Merkwürdiges passiert sein. Ich wollte mir die Aufnahme gerade auf dem Computer ansehen.«
»Komm mit.«
Robert wandte sich um und verließ den Raum. Katie folgte ihm in sein Zimmer gegenüber.
Hier standen die Bücher nicht wie bei normalen Sterblichen in Regalen, nein, bei Robert stapelten sie sich auf dem Schreibtisch, dem Stuhl, auf dem Nachttisch. Es gab sie im Kleiderschrank, im Waschbecken und unter dem Kleiderhaufen in der Ecke. Kleine Stapel, Riesenstapel, Zeitschriften, Bildbände, Formelsammlungen. Und erst die Titel – Hyperboloide, Paraboloide, Superzyklide – Mann, wow, wirklich aufregende Bettlektüre. Besser als jedes Schlafmittel und dazu ohne Nebenwirkungen.
Sie schaute sich um. »Wo schläfst du eigentlich?«
»Wo?« Er warf ihr einen verwirrten Blick zu. »Im Bett.«
Okay – die geheime Formel für Humor war Robert offenbar fremd.
»Vergiss es. Wollen wir?«
Robert räumte gefühlte zwei Meter Zeitschriften zur Seite, unter denen sein Laptop auftauchte, setzte sich auf die Kante seines Schreibtisches und schaltete ihn an.
»Kannst du mir die Speicherkarte aus der Kamera geben?«
Katie reichte sie ihm und er steckte sie in die Schnittstelle. Wenig später öffnete sich das Dateiverzeichnis mit diversen Ordnern und einer separaten Datei, die unter Sperrbezirk_160211 abgespeichert war .
»Okay, das müsste sie sein. Schau dir die Aufnahme in Ruhe an und dann sag mir, ob dir etwas komisch vorkommt.«
Das erste Bild – der Uferweg – erschien auf dem Bildschirm.
»Überspring das mal«, wollte Katie gerade sagen, als sich plötzlich die Datei ohne Vorwarnung schloss. »Was ist denn jetzt passiert?«, murmelte sie.
»Mist!« Roberts Finger flogen über die Tastatur. Die Verzeichnisse öffneten sich in Windeseile, aber Katie konnte die Datei mit dem Datum nicht mehr entdecken. Eine Suchanfrage wurde negativ beantwortet. Robert pfiff einmal durch die Zähne, dann schüttelte er den Kopf.
Katie hielt den Atem an. »War es das, wonach es aussah?«
Roberts Brauen waren zu einer gerade Linie zusammengezogen. »Wie man es nimmt«, knurrte er. »Die verdammte Datei hat sich gerade selbst gelöscht.«
Grace Dossier
Aufzeichnungen: Kathleen Bellamy
20. August 1974
Kathleen Bellamy hatte keine Ahnung, ob die anderen sich überhaupt noch Notizen machten. In den ersten beiden Wochen hatte man immer irgendjemanden getroffen, der eifrig in sein Notizbuch kritzelte. Aber dann, als die Stimmung zunehmend angespannter und gereizter wurde, hatten die anderen erschreckt reagiert, wenn man plötzlich auftauchte.
Milton zum Beispiel.
Irgendwann war sie oben in das Zimmer der Jungs gekommen, weil sie Grace suchte. Und dachte – sie sei dort mit Paul. Stattdessen war nur Milton da und … er las in einem Notizbuch. Wenn sie sich nicht irrte, dann gehörte es nicht ihm, sondern Paul.
Das war der Moment gewesen, als sie ebenfalls begann, ihre Aufzeichnungen zu verstecken.
Sie würde sie niemandem zeigen. Ausgenommen vielleicht – Paul.
Kapitel 6
Robert arbeitete konzentriert und so schnell, wie Katie noch nie jemand hatte tippen sehen. »Okay, schauen wir mal, ob wir das eingrenzen können.« Zahlreiche Fenster poppten auf und schlossen sich wieder, ohne dass Katie irgendein System erkennen konnte. Robert hatte sich vorgebeugt, sie konnte nicht sehen, was in seiner Miene vor sich ging.
»Ist jetzt ein Virus auf deinem Rechner?«
Robert schüttelte den Kopf. »Selbstverständlich nicht«, sagte er ernst. »Das schafft keiner.« Wie er es sagte, glaubte sie es ihm sofort. »Und es war natürlich auch kein Virus.«
»Natürlich nicht«, wiederholte Katie spöttisch, aber Robert verstand die Ironie
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