Die Prophezeiung
Cage, in dem Helden in Räume eindrangen und alte Geheimnisse entdeckten, die die Vorstellungskraft der Zuschauer und ihre Fantasie so richtig zum Kochen brachten?
Das Geheimnis der Tempelritter.
Aber ein Kinobesuch war nun einmal etwas völlig anderes, als in der Realität in so eine Welt vorzudringen. Mal ganz davon abgesehen, dass sie einfach nur Studenten im ersten Jahr waren, Freshmen, und keine Helden.
Wenn jetzt Riesenspinnen aufgetaucht wären oder Mumien aus Särgen stiegen, hätte Katie wenigstens lachen können. Aber die Aktenordner auf dem Tisch in der Mitte brachten alle Überlegungen zum Erliegen, sie sei wie Harry Potter über Gleis 9 3/4 einfach nur in eine andere Welt gewechselt.
Die Ordner existierten wirklich. Sie waren real.
David hatte sich auf den Tisch gesetzt und blätterte die Papiere langsam und konzentriert durch, während Robert sich daranmachte, die Nischen im Saal abzuschreiten.
Katie atmete tief ein. Wie lange würde es dauern, bis David auf eine Information stieß, die ihm verriet, um wen es sich bei Eliza Chung tatsächlich handelte?
Es würde alles verändern. David und Robert würden es den anderen verraten. Sie würden begreifen, dass ihr Schicksal verknüpft war mit den Ereignissen vor fast vierzig Jahren. Bisher waren sie alle davon ausgegangen, die Studenten von damals seien nicht verschollen, sondern vermutlich tot. Es war die logischste Schlussfolgerung. Schließlich hatten sie auch Paul Forsters Leiche dort oben in der Gletscherhöhle entdeckt. Wie würden die anderen auf die Nachricht reagieren, dass Katies Mutter zu der Gruppe gehört hatte und lebte? Alles würde in einem neuen Licht erscheinen.
Andererseits wäre es gelogen, wenn sie behauptet hätte, sie sei nicht neugierig, was damals passiert war. Wie ihre Mutter hatte untertauchen können. Durfte sie nicht über diese Vergangenheit sprechen? Hatte sie es geschworen?
Katie schwankte. Sie sollte David alles erzählen. Das wäre der einfachste und ehrlichste Weg.
Sie hockte sich neben ihn auf den Tisch und starrte auf den aufgeschlagenen Aktenordner. Offenbar handelte es sich zum größten Teil um handschriftliche Notizen.
»Was sind das für Papiere?«
»Erinnerst du dich, dass die Studenten damals auf die Hütte gestiegen sind, um an diesem Experiment teilzunehmen? Es ging um Wahrnehmung. Sie sollten sich gegenseitig beobachten und alles aufschreiben, was die anderen taten, sagten. Ihr Verhalten. Ihre Gestik. Ihre Mimik. Jedes Detail. Jede Kleinigkeit. Tag und Nacht. Und dieser Ordner enthält die Aufzeichnungen darüber.«
Katie beugte sich vor. Nach den Ereignissen vom Remembrance Day hatten Julia und Chris von dem angeblichen Experiment erzählt, aber Katie hatte es als Unsinn abgetan. Jetzt war sie sich nicht mehr so sicher. »Was kann daran schon spannend sein, wenn man aufschreibt, was jemand anderes sagt? Was er tut, was er isst, wie er kaut und ob man ihn leiden kann oder nicht?« Sie bemühte sich, möglichst cool zu klingen, aber selbst in ihren Ohren scheiterte sie kläglich.
David schüttelte den Kopf und schlug mit der flachen Hand auf die Seiten. »Das hier ist viel, viel mehr. Es ist so etwas wie ein kollektives Geständnis. Der Aufenthalt oben auf dem Ghost hat ganz offenbar eine eigene Dynamik entwickelt.« Er griff nach dem obersten Blatt und hielt es in die Luft. »Das hat eine Martha geschrieben.«
Grace ist mit dem Kopf auf einem Felsbrocken aufgeschlagen. Eine scharfe Kante hat sich seitlich in ihre Wange gebohrt. Das ganze Gesicht ist voller Blut. Milton schafft es kaum, sie wieder zu Bewusstsein zu bringen. Als es ihm endlich gelingt, wird ihr Körper von einer Art Schüttelfrost erschüttert. Sie brüllt auf, wenn man sie berührt, und schreit: »Mein Kopf. Ich spüre ihn nicht mehr.«
Die Einzigen, die die Ruhe bewahren, sind Milton, Mark und Eliza.
Katie ließ das Blatt sinken. Jetzt, dachte sie. Sag es ihm. Sag ihm, wer Eliza ist. Aber in dem Moment, als sie den Mund öffnete, ertönte ein tiefes dumpfes Grollen. Es ging durch Mark und Bein und erschütterte Katie von Grund auf. Licht und Schatten verschwammen über ihnen.
Und wieder ein heftiger Schlag. Ein Dröhnen, als bräche alles auseinander.
»Was ist das?« Katies Stimme war rau vor Angst.
»Die Glaskuppel … sie steht unter Spannung.« Plötzlich tauchte Robert wieder neben ihnen auf und schaute, den Kopf weit in den Nacken gelegt, stirnrunzelnd nach oben.
»Du meinst, sie kann brechen?«
Robert schüttelte
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