Die Prophezeiung
Decke, die kreisrund wie der ganze Raum war. Katie legte den Kopf in den Nacken und starrte hinauf in die lichte Höhe. Die schimmernde blaue Kuppel mit den ständig wechselnden Lichtreflexen gab dem Ganzen hier eine völlig unwirkliche Atmosphäre, die Katie einen Schauer nach dem anderen über den Rücken jagte.
»Ich glaube, ich weiß, wo wir sind.« Robert nahm den Rucksack von den Schultern. »Die Decke – sie ist aus Glas. Und dieses blaue Licht – das kommt vom Wasser des Spiegelsees.«
Er klang so vollkommen ruhig. So ganz anders als der sensible Junge, der zu Tode erschreckt wirkte, als er mit Julia hier oben im Tal angekommen war.
Und er sprach die Worte aus, als enthielten sie keine Informationen, keine Vorstellungen, die einen zu Tode erschrecken könnten.
Unter dem Spiegelsee? Wie konnten sie unter einem See sein? Nein, das konnte nicht stimmen. Robert musste sich täuschen.
Versuchsweise machte sie ein paar Schritte und hatte sofort das Gefühl zu schweben. Ein echtes Scheißgefühl.
Und wenn er doch recht hatte? Katie selbst war schon im Spiegelsee getaucht. Sie hatte gemeinsam mit Julia einen Anhänger mit einem USB-Stick aus dem Wasser geholt, der Angela Finder gehört hatte. Sie erinnerte sich an Steine, an sandigen Boden, der eher einer Wüste glich als dem Grund eines Sees. Aber an kein Glas.
Andererseits – dieser Raum hier konnte natürlich sonst wo unter dem See sein. Der Lake Mirror war groß – die Decke über ihnen mochte nicht einmal einem Bruchstück der Oberfläche entsprechen.
Katie spürte, wie sich in ihrem Magen etwas zusammenklumpte. Im Grunde ihres Herzens wusste sie, dass Robert recht hatte und es machte ihre eine solche Scheißangst, wie sie sie noch nicht einmal empfunden hatte, als sie damals an der Brücke des Potomac gestanden hatte.
Sie hatte versucht, einen Blick hinter den Vorhang zu werfen, hatte den Riss in der Oberfläche des Tals entdecken wollen. Und jetzt wünschte sie sich, sie hätte diesen Raum niemals betreten. Hätten Robert und vor allem David sie nicht überredet, immer weiterzugehen. Sie würde wer weiß was darum geben, wenn das Abenteuer hier und jetzt zu Ende wäre und sie gemütlich in ihrem scheußlichen kleinen Collegezimmer sitzen könnte, um für irgendwelche Prüfungen zu lernen.
Man müsste Situationen im Leben abschalten können wie einen Film, den man nicht mag. Wie ein unangenehmes Telefongespräch. Wie Musik, die einem auf die Nerven geht.
Aber das war nicht möglich.
Das alles hier war die Wirklichkeit im schlimmsten Sinn des Wortes.
Sie schwiegen, sahen sich nicht einmal an. Und was hätten sie auch sagen sollen? Es gab keine Worte. Und keine Theorie, die das erklären könnte, was sie hier unten erlebten. Wo sie sich befanden. Sie waren endgültig im Tal gefangen.
Robert war wieder der Erste, der sich in Bewegung setzte. Er hielt auf die Mitte des Saals zu, wo ein Kreis aus breiten Stufen einige Meter in die Tiefe führte.
Das Ganze hatte Ähnlichkeit mit einem Amphitheater, das statt einer Bühne in der Mitte eine kreisrunde Plattform beherbergte und sie erinnerte sich an die ineinandergeschachtelten konzentrischen Kreise auf den Mauern. Waren sie nun im Zentrum angelangt?
Die Fläche des von zahlreichen merkwürdigen Linien durchzogenen Steinfußbodens war leer bis auf einen riesigen Holztisch. Auf ihm lagen mehrere Aktenordner, aus denen Papier quoll. Ganz gewöhnliche Aktenordner, wie man sie auch im Supermarkt auf dem Collegecampus für 3,27 C $ erstehen konnte.
Weiße Blätter waren auch auf dem Fußboden verstreut und dieses kleine Detail war es, das Katie unmissverständlich klar machte, dass sie nicht zufällig hier waren. Jemand hatte sie erwartet. Doch ob sie wirklich Antworten, Lösungen, wie Robert es nannte, bekommen würden, das stand in den Sternen.
Tief durchatmen, Katie, sagte sie sich, schloss die Augen, öffnete sie wieder. Nichts hatte sich verändert.
Noch immer strahlte der Saal eine geradezu mystische Macht aus. Die Wasserfläche an der Decke war in ständiger Bewegung und immer wieder blitzte ein Lichtschein auf – die Februarsonne, die ihren Weg durch die Glaskuppel zu ihnen in die Tiefe fand und alles im Raum in dieses unwirkliche blaue Licht tauchte. Der Ursprung und Zweck des Saals lagen dagegen völlig im Dunkeln. Allein die Idee, unter der Oberfläche eines Sees ein Gebäude zu errichten, dem eine Glaskuppel als Dach diente, war schon absurd genug.
Vielleicht war es ja auch alles ganz
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