Die Prophezeiung
würde sich die Wand öffnen. Aber in welcher? Sie versuchte, sich auf die Kreissymbole zu konzentrieren, aber die waren überall – auch sie verschwammen und wurden zu Ringen aus Wasser, das leise glucksend an das Ufer des Lake Mirror schwappte.
Roberts Stimme brach in ihre Gedanken ein. »Wenn meine Berechnungen richtig sind, dann führt der nächste Gang zurück.«
»Wohin zurück?« David hörte sich an, als knirschte er mit den Zähnen.
»Das kann ich euch auch nicht genau sagen«, erwiderte Robert gerade, als das inzwischen vertraute Geräusch ertönte und der Boden unter ihren Füßen anfing zu beben. Katie wirbelte einmal um die eigene Achse, doch die Wand vor ihr veränderte sich nicht.
»Wo, verdammt noch mal, ist der Ausgang?«, schrie sie. »Wo?«
»Dort drüben!« David wollte losrennen, doch das Bein ließ ihn im Stich. Er stolperte und fiel zu Boden. Robert war sofort an seiner Seite und half ihm hoch, genau wie Katie, die ihn unter den Achseln fasste und ihn einfach mit sich zog.
Der Lärm war ohrenbetäubend, sie konnte nicht verstehen, was Robert schrie.
»Was?«
Robert wiederholte seine Worte, aber Katie zuckte nur hilflos mit den Achseln.
Sie musste sich ganz auf David konzentrieren, der inzwischen dazu übergegangen war, sich auf ihre Schulter zu stützen und auf einem Bein zu hüpfen, offensichtlich kam er so schneller voran. Dennoch schienen sie sich nur wie in Zeitlupe zu bewegen. Der Spalt wurde größer und größer, aber die Strecke, die sie zurücklegen mussten, kam Katie unendlich lang vor.
Die Wand öffnete sich neben der Nische, in der Grace ruhte. Dahinter erkannte Katie nichts als Dunkelheit.
Und schlagartig begriff sie den Mechanismus der Tunnelöffnungen. Das Ganze war wie eine Drehtür konstruiert, die sich einmal um die Mittelachse bewegte. Wenn sie sich um hundertachtzig Grad gedreht hatte, war der Spalt wieder geschlossen.
Der Lärm ebbte ab. Die Wand stand nun auf neunzig Grad.
»Schneller«, rief sie und verstärkte ihre Anstrengung. Davids Gewicht auf ihrer Schulter drückte sie zu Boden, aber sie biss die Zähne zusammen. Höchstens noch acht Meter.
Wann wurde der Spalt zu schmal, um durchzukriechen? Wenn der Winkel kleiner wurde als fünfundvierzig Grad.
Ihnen blieben nur noch Sekunden.
Fünf Meter.
Drei Meter.
Zwei Meter.
Einer.
»Du zuerst!«
Sie schob David mit aller Kraft nach vorne. Er stolperte wieder, hielt jedoch das Gleichgewicht, machte den ersten Schritt durch den Spalt und blieb hängen. Die Wand bewegte sich unaufhaltsam weiter.
»Seitlich!«
David brauchte ihre Anweisung nicht, er hatte sich schon selbst gedreht. Katie wartete nicht ab, ob er noch einmal stolperte. Sie stürzte sich auf ihn und schob ihn und sich selbst mit ihrem ganzen Gewicht durch die Wand.
Sie fiel und landete genau auf David.
Der Lichtschimmer wurde schwächer. Der Spalt schloss sich. Sie lagen im Dunkeln.
»David«, flüsterte Katie. »Wo ist Robert?«
Katie versuchte, sich mit der Taschenlampe zu orientieren. In dem Raum war es nicht wirklich hell gewesen. Zudem hatte das blaue Spiel aus Licht und Schatten das Sehen erschwert. Doch es fiel Katie schwer, sich wieder an die Taschenlampe zu gewöhnen, angewiesen zu sein auf den schmalen Kegel Helligkeit.
Sie spürte, wie David neben ihr keuchte.
»Robert?« In seiner Stimme klang schrille Panik.
Keine Antwort.
»Robert?«
Je länger die Stille andauerte, desto deutlicher begriff Katie, was das hieß. Robert hatte es nicht auf die andere Seite geschafft. Er war allein in dem Raum zurückgeblieben.
»Robert?«, schrie David noch einmal.
Katie wurde das Herz schwer. »Lass es«, murmelte sie. »Es hat keinen Sinn.«
Aber David ließ sich nicht zurückhalten. Er sprang auf und begann, gegen die Wand zu hämmern. »He, Robert, wo bist du?«
»Er kann dich nicht hören.«
»Wir müssen etwas unternehmen! Wir können ihn nicht dortlassen!«
»Was schlägst du vor? Die Mauern einreißen?«
»Er ist ganz allein. Du kennst ihn. Er wird verrückt werden vor Angst.«
»Wird er nicht.«
»Du vielleicht nicht, aber Robert, er hält so etwas nicht aus.«
Katie unterdrückte den Impuls zu schreien. Stattdessen rappelte sie sich auf. »David«, sagte sie beschwörend. »Er hat es gewusst.« Sie vermied es, die Taschenlampe in seine Richtung zu halten. »Ich habe es nicht kapiert – aber er hat es uns deutlich gesagt. Oder warum, meinst du, hat er dir die Taschenlampe gegeben? Wieso hat er uns beschworen, dass wir
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