Die Prophezeiung
aufblitzte. »Jetzt wissen wir endlich, wie Ben auf diesen Uraltsong gekommen ist.«
Die Wendeltreppe vor ihnen führte schier endlos in die Höhe. Sie sah aus wie eine der Feuertreppen, die an manchen Gebäuden den Fluchtweg sicherte. Das hieß, sie war steil. Unendlich steil. David setzte den ersten Fuß auf die Treppenstufe.
»Warte«, sagte Katie, »ich helfe dir.«
Doch er schüttelte den Kopf. »Geht schon. Ich kann mich am Geländer hochziehen. Ich wüsste nur gern im Voraus, wohin diese Treppe führt. Denn für heute ist mein Bedarf an geheimnisvollen Gängen und mysteriösen Räumen gedeckt. Ich will nur eines: zurück in die Realität.«
»Na ja, wenigstens führt sie nach oben. Das ist doch ein gutes Zeichen.« Katie versuchte, optimistisch zu klingen. Aber es war eine Zuversicht, die zunehmend schwand, je höher sie kamen. Es waren gar nicht so viele Stufen, Katie zählte sie alle, bis sie im Schein der Taschenlampe das Ende sah.
Stairway to Heaven. Was erwartete sie jetzt?
Die Hölle?
Oder – Katie wagte es nicht zu denken – der Himmel? Ein realer blauer Himmel, echte Wolken, eine Sonne, die nach der Dunkelheit in den Augen blendete, und – frische, klare Winterluft.
Dann standen sie vor einer Tür. Sie war aus Metall und besaß einen Türgriff, der sich problemlos hinunterdrücken ließ.
Vor ihnen erstreckte sich ein langer Korridor, der im Dunkeln lag.
»Und wenn ich jetzt noch einen Lichtschalter finde, glaube ich tatsächlich, dass ich in der Zivilisation zurück bin.« Sie schwenkte die Taschenlampe über die Wand und nur Sekunden später erhellte grelles Licht die Umgebung. Nach der langen Dunkelheit schmerzte es in den Augen.
Katie ging mit schnellen Schritten voraus. Sie musste jetzt endlich wissen, wo genau sie sich befanden.
Sie passierten eine Reihe von Türen, die allerdings alle verschlossen waren. Und dann stießen sie auf eine Glastür, auf der ein Schild angebracht war: Security.
Durch die Scheibe konnte sie Spindschränke erkennen.
Katie schnappte nach Luft. »Wir sind im College, David! Ich fasse es nicht.«
David stöhnte auf. »Das gibt’s nicht!«
Katies Stimme überschlug sich. »Doch! Wir haben es wirklich geschafft!«
David sah sich um. »Du hast recht. Das muss das dritte Untergeschoss sein, von dem Benjamin und Chris erzählt haben.« Er deutete auf den Umkleideraum der Security. »Hier haben sie die Leiche des Wachmanns entdeckt.«
»Hauptsache, sie finden unsere nicht«, gab Katie zurück. »Beeilen wir uns, nach oben zu kommen.«
Netzwerk.
Technikraum.
Katie las die Schilder im Vorbeigehen, aber sie wollte sich nicht damit beschäftigen. Sie wollte nur noch raus hier, und das so schnell wie möglich. Fast rannte sie schon.
»Katie?« Die Stimme hinter ihr hatte einen verzweifelten Unterton. »Warte auf mich.«
Sie wandte sich um, erwachte wie aus einem Traum. David lehnte erschöpft gegen die Wand und sah im grellen Licht der Deckenleuchten zum Fürchten aus. Spinnweben und rötlicher Schmutz klebten an seiner Jacke und die Schatten unter seinen Augen waren so schwarz, dass es Katie schien, als hätte ihm jemand Smokey Eyes aufgemalt.
Sie lief zu ihm zurück, und gerade als sie David erreicht hatte, ertönte ein Geräusch. Es war nur ein kleines Ping, aber Katie fuhr so erschrocken zusammen, als ob es einen Donnerschlag gegeben hätte.
Es war ein Aufzug, der sich öffnete, und Katie erkannte die Silhouette im grellen Licht nicht sofort.
»Was machen Sie denn hier?« Es war Miranda García, die einzige weibliche Sicherheitsbeamtin des Colleges, dieselbe, die Benjamin versorgt hatte. Merkwürdigerweise war es David, der sich viel eher als Katie fasste. In Windeseile fiel ihm eine Erklärung ein, wie sie hierher gekommen waren. »Katie West und ich haben einen Passierschein fürs Archiv, wo wir etwas recherchieren müssen. Für die Prüfungen, verstehen Sie?« Er hob scheinbar hilflos die Arme. »Aber wir müssen die falsche Tür erwischt haben und sind hier unten gelandet.«
Okay, auf die Idee mit dem Archiv wäre Katie nie gekommen, aber sie erinnerte sich schwach an Chris’ und Benjamins Erzählungen, wie sie am Remembrance Day Ike gefolgt und über das Archiv im dritten Untergeschoss gelandet waren.
Die resolute Sicherheitsbeamtin stemmte die Hände in die Hüften, ein Lächeln hing in ihren Mundwinkeln und sie zog spöttisch die Augenbrauen nach oben. »Schöne Geschichte. Wenn ich nur ein Wort davon glauben könnte. Um überhaupt hier nach
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