Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)
angezündet – welch ein herrlicher Glanz«, freute sich Henry. Und in der Tat, das ganze Treppenhaus war feurig erleuchtet von goldenen Lichtern. Niemals hatten Treppe und Wände so hell geglänzt. Die Diener mussten alles stundenlang poliert haben. So viel Anstrengung und harte Arbeit, um das Haus für ein letztlich doch bedeutungsloses kleines Mahl unter Freunden herzurichten. Wie konnte das jetzt noch wichtig sein, da die Dunkelheit heranrollte?
Ich hielt es nicht mehr aus. Ich musste Henry warnen. Doch da trat Henry ein paar Schritte zurück, wie um mich im Glanz der Lichter in meinem silbernen Prunkgewand zu bewundern. Es war mir eine Last, es zu tragen, der Stoff drückte so schwer und rau auf meine Haut. Aber das bemerkte der Betrachter nicht.
»Ihr seid wahrhaft schön«, sagte er und klatschte zweimal in die Hände. »Es ist eine Freude, Euch zu Eurem Ehrenmahl geleiten zu dürfen.«
Der Moment der Wahrheit war vorbei.
»Zu meinem Ehrenmahl?«, fragte ich. »Aber der Ehrengast ist doch Lord Montague.«
Henry lächelte. Er war glänzender Laune. »Ja, natürlich. Natürlich. Kommt, wir wollen ihn nicht warten lassen.«
Gleich würden wir den Rittersaal betreten. Ich hatte keine Angst. Die seltsamen Erscheinungen, die mich dort zweimalheimgesucht hatten, konnten mich nach dem Zusammentreffen mit dem zweiten Seher nicht mehr ängstigen.
Doch Henry führte mich nicht in den Saal, sondern in das Musikzimmer. Als ich wissen wollte, warum, antwortete er mir nicht und summte nur gedämpft vor sich hin.
Nur eine Person erwartete uns in dem Raum, der so strahlend erleuchtet war wie der Rest des Hauses. Der Mann stand von uns abgewandt, die Hände auf dem Rücken, in die Betrachtung des Wandfrieses vertieft. Langsam drehte er sich um.
Es war Henry Pole, Baron Montague, aber wie sehr hatte er sich verändert! Ich hatte ihn seit mindestens fünf Jahren nicht mehr gesehen, damals hatte er seine Schwester Ursula auf Stafford Castle besucht. Als Ältester der Geschwister Pole hatte er nach dem Tod des Vaters vor Jahren die Rolle des Familienoberhaupts übernehmen müssen.
Seine Besuche versetzten stets das ganze Schloss in Aufregung, schon deshalb, weil er einer der höchsten Adligen des Landes war, ein Kindheitsgefährte König Heinrichs, wie Henry Courtenay. Aber das war es nicht allein. Ich wusste, dass manche Frauen ihn äußerst anziehend fanden. Ich war da immer anderer Meinung gewesen und hatte ihn auch im Gespräch nicht bemerkenswert gefunden. Er schien mir kalt und hochmütig, dem Glücksspiel übermäßig zugetan, Büchern gegenüber gleichgültig. Kurz, der vollendete Aristokrat.
Montague war in den Vierzigern. Sein schwarzes Haar war stark ergraut, und ein Netz tiefer Fältchen umgab seine Augen. Sein Gesicht war beinahe hager. Er trug ein schwarzes Wams, das weder Edelsteine noch Amtsketten schmückten. Wie ein schwarzer Geist trat er uns entgegen. Mit höfischer Geste ergriff er meine Hand und küsste sie. »Buckingham war ein so leidenschaftlicher Musikliebhaber«, sagte er.
»Ja, das ist richtig«, antwortete ich, obwohl mir rätselhaft war, warum er jetzt auf den ältesten Bruder meines Vaters zu sprechen kam. Aber er war immer ein großer Bewunderer von ihm gewesen. Vielleicht erinnerte ich ihn an den Herzog.
»Er hatte eine Truppe hervorragender Lautenspieler«, fuhr Montague fort. »Einer von ihnen spielte wie ein Engel, aber er wurde jedes Jahr fetter.«
»Ach ja, das war Robert«, sagte ich. »Mein Onkel ließ jedes Mal eigens einen Schneider kommen, der seine Tracht ändern musste. Der Schneider nähte dann die ganze Nacht durch, damit Robert am nächsten Tag präsentabel war.«
Montague lachte, und zu meiner Überraschung lachte auch ich.
Henry war begeistert. »Seht Ihr?«, sagte er. »Es ist möglich, das Leben zu genießen, mein Freund.«
Montague zog ein Gesicht. Aus irgendeinem Grund war ihm Henrys Bemerkung peinlich. Unbehagliches Schweigen breitete sich aus.
Zum Glück erschien in diesem Augenblick Gertrude, wunderbar anzusehen in smaragdgrünem Samt. Sie ergriff die Hand ihres Mannes und drückte sie an ihre Wange. Ich kannte diese Geste von ihr, aber ich hatte den Eindruck, dass sie an diesem Abend eine Spur inniger war als sonst. Unsere Blicke trafen sich. Wir verstanden einander wieder vollkommen. Dies war Henrys Abend, und wir würden beide alles daran setzen, um ihn ihm so angenehm wie möglich zu machen.
Lord Montague begleitete mich in den Saal. »Es hat mir sehr
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