Die Prophezeiung der Steine
üblich zum Stockkampftraining und lächelte hinterher Doronit an, während sie gemeinsam frühstückten.
Tagelang verhielt sich Doronit ihm gegenüber ausgesprochen liebevoll. Mehr noch, sie bezog ihn bei Geschäftsterminen im Zunfthaus mit ein. Gemeinsam redeten sie mit Kapitänen, die Schutz für ihre für Mitchen und Carlion bestimmten Waren wollten, redeten mit dem Besitzer des Sailor’s Rest, der Probleme mit Fischern aus Foreverfroze hatte, die hier waren, um eine Ladung Robbenfelle und Fischöl zu verkaufen.
Nachdem er zum ersten Mal selbst ein Geschäft abgeschlossen hatte - Doronit hatte lediglich lächelnd zugeschaut -, schlug ihm Aylmer auf die Schulter und gratulierte ihm als Erster.
»Dann bist du also der Erbe, was?«, grinste er ihn während des Stockkampfs an, um ihn mit seinem Gerede abzulenken. »Sie baut dich dazu auf, das Geschäft zu übernehmen, Junge. Bald bist du das Lösegeld eines Kriegsherrn wert.«
Aylmer streifte Ash mit einem Hieb, schlug einen Haken und holte erneut aus, um seine Deckung zu testen.
Ash parierte mühelos, erwiderte das Grinsen und wechselte vom Schild zum Speer, um Aylmer einen Stoß in den Magen zu versetzen. »Dann bin ich dein Vorgesetzter!«
»Ja, mein Herr, nein, mein Herr, wie immer Euch beliebt, mein Herr.« Aylmer wich zurück, aus der Reichweite des Knüppels heraus und tat so, als katzbuckele er vor ihm. »Na ja, warum sie dich auserkoren hat, weiß ich nicht, Kumpel, aber du weißt es wahrscheinlich, ja?«
Ash wurde rot. Es stimmte, er wusste es. Die Erinnerung an den Vorabend der Wintersonnenwende war in seinem Gedächtnis eingebrannt und rief nach wie vor Übelkeit in ihm hervor.
»Kein Grund, verlegen zu werden, Kumpel.« Aylmer kicherte. »Mein Geschmack ist sie nicht, aber ich sehe, dass du gerissener bist, als ich es je war - ein bisschen Bumsen hier und da ist ein kleiner Preis für einen guten Handel.«
Ash grinste halbherzig. Wenn Aylmer Recht gehabt hätte, wäre es ihm leichter gefallen, damit zu leben. Aber Doronit berührte ihn nie, außer ihm gelegentlich die Wange zu tätscheln oder mit der Hand über den Arm zu fahren. Nach dem Abend vor der Wintersonnenwende hatte er erkannt, dass sie es bewusst tat, um ihn aus der Fassung zu bringen.
Diese Erkenntnis hielt ihn allerdings nicht davon ab, zu stottern, und verhinderte auch die heiße Welle des Verlangens nicht, die ihn dann überlief.
Er nutzte die Erinnerung an diese Momente zu einem Angriff auf Aylmer: Vorstoß, Schild, Streich, Schwert, Parade. Er ließ seinen ganzen Ärger an ihm aus und legte sein Verlangen in den Stock, und zum ersten Mal drängte er Aylmer zurück. Dieser sammelte sich rasch wieder, doch das reichte nicht aus. Die beiden bewegten sich durch den Trainingsraum, schwitzend und keuchend, mit keinem anderen Gedanken als an die Knüppel und die Angriffe des anderen. Ash machte einen Ausfallschritt nach vorn, den er nur allein geübt hatte, erwischte Aylmer zu dessen Überraschung an seinem Standbein, fegte ihm beide Beine weg und hielt ihm den Stock an die Kehle.
»Ha!«, rief Ash, und sein Gegner ließ als Zeichen, dass er aufgab, den Stock fallen. Ash war in Hochstimmung. Zum ersten Mal hatte er eine der alten Schutzwachen im Kampf besiegt, und Aylmer war anerkanntermaßen sehr gut mit dem Knüppel.
Alymer grinste, rieb sich beim Aufstehen aber den Rücken. »Du willst wohl, dass ich mir alt vorkomme, was, Junge?« Er betrachtete Ash nun mit anderen Augen. Schnell war dieser immer schon beim Stockkampf gewesen, hatte jedoch nie die richtige Mischung aus Aggression und Gelassenheit gezeigt, die einen gefährlichen Widersacher auszeichnete. Das hatte sich geändert; der zaghafte junge Mann war verschwunden. Dass ihn Doronit zu ihrem Erben bestimmt hatte, hatte ihm womöglich Selbstbewusstsein verliehen, dachte Aylmer. Vielleicht reifte er aber auch einfach nur heran und fand zu sich selbst, wie es bei Jungen in diesem Alter häufig der Fall war. Es hatte Aylmer das schleichende Gefühl des Älterwerdens beschert. Er hätte Ashs
Vater sein können, und als er sich bückte, um seinen Knüppel aufzuheben, zuckte er zusammen.
»Komm mit ins Wirtshaus«, sagte Ash mit unverminderter Energie, von einem Bein auf das andere hüpfend. »Ich gebe einen aus.«
Ash spürte, wie ihm das Herz aufging, als sie an diesem Frühlingstag die Stadt durchquerten, vorbei an den Rufen der Straßenhändler, dem Gerumpel der Wagen, dem lautstarken Gefeilsche auf dem Markt, vorbei an
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