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Die Prophezeiung der Steine

Die Prophezeiung der Steine

Titel: Die Prophezeiung der Steine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela Freeman
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seinen Füßen absolut bewusst. Ob sie ihn unter Drogen gesetzt hatte?
    »Pfeife«, sagte sie und stieß ihm in die Rippen. Er strauchelte, sodass sie fast die Klippe hinabgestürzt wären, doch sie zog ihn zurück und schüttelte ihn ein wenig. Dann drehte sie ihn so, dass er auf das Wasser schaute. » Pfeife!«
    Er nahm die Melodie von ihr auf. Wie er so dastand und lauschte, brannten sich die Noten derart fest in sein Hirn ein, dass er sich fragte, ob er sie jemals wieder vergessen
würde. Zum ersten Mal in seinem Leben war er im Stande, eine Melodie wiederzugeben. Zum ersten Mal musizierte er! Begeistert pfiff er, und Doronit entspannte sich, war zufrieden.
    Dann sah er die Windgeister kommen, die über die tief treibenden Wolkenfetzen auf sie zuflogen.
    Wassergeister hatte er schon einmal gesehen, tanzend auf einem Wasserfall in den hohen Bergen westlich von Cirk. Diese Windgeister ähnelten ihnen, hatten ausgeprägte Züge, lange Finger und Klauen, schwarze Schlitzaugen ohne Pupillen. Ihre Haare wogten von ihren Gesichtern zurück wie Seetang unter Wasser. Während die Wassergeister smaragdgrün, silbern und blau waren, hatten diese Windgeister die weißgraue Farbe von Wolken, waren durchscheinend und sausten und brausten derart um ihn herum, dass Ash das Gefühl bekam, ihm platze der Kopf. Es waren lediglich drei Geister, aber sie schienen überall zu sein.
    »Sei gegrüßt zur Jahreswende, Volk der Luft«, sagte Doronit.
    Ash pfiff. Eines der Wesen glitt dicht an ihm vorbei, woraufhin sich Schweißperlen auf seinem Arm bildeten und er eine Gänsehaut bekam.
    Das Wesen stellte sich Doronit gegenüber, keine drei ßig Zentimeter von ihr entfernt. »Schon wieder, Frau?« Seine Stimme war schrill wie das Pfeifen eines Kessels. Sie schmerzte Ash in den Ohren.
    »Schon wieder, Ihr Geehrten. Was gibt es für Neuigkeiten?«
    »Keine Neuigkeiten für unsere Feinde.« Das Wesen grinste. Seine Zähne waren eckig und stumpf.
    »Ich bin dein Freund«, sagte Doronit. »Ich überbringe Nachrichten. Zwei Schiffe, nur einen Tag von Turvite aus unterwegs zu den Inseln. Zwei alte Schiffe.«

    Der Geist befeuchtete sich die Lippen und strich ihr mit einem Finger über die Wange.
    Sie zuckte zusammen, blieb aber stehen und hielt seinem Blick stand.
    Ashs Pfeifen verlangsamte sich.
    Der Geist lächelte und legte einen Klauenfinger an Doronits Mundwinkel.
    Ash pfiff schneller, nahm wieder das richtige Tempo auf, und der Finger wurde zurückgezogen. Ashs Herz hämmerte, er bekam einen trockenen Mund.
    »Was gibt es Neues für mich, Freund?«, flüsterte Doronit.
    »Traurig, so traurig …« Der Geist lächelte. »Die White Hind ist in einen Sturm geraten, die Sunrise hat ihre Fracht verloren, alles über Bord gegangen. Die Cloven Hoof ist gesunken, die ganze Besatzung tot. Die See verschlang gewebte Wolle und gute Balken, Alaun und Indigo. Im Sommer wird sie blauer sein denn je zuvor.«
    »Ein lächerlicher Name für ein Schiff«, sagte Doronit. »Seid bedankt, Ihr Geehrten.«
    Die anderen Geister kamen näher.
    Der Windgeist langte nach Ash, um ihn über die Klippe zu ziehen. Doronit zerrte ihn zurück. Ash pfiff weiter.
    »Unsere Bezahlung, Freund«, sagte der Geist.
    »Nicht er. Nicht in diesem Jahr. Ich habe euch zwei Schiffe gegeben. Das muss reichen. Nördlich und südwestlich sind sie unterwegs, mit roten Segeln.«
    Die Windgeister umzingelten Ash, glitten über seine Haut, versuchten, ihn aus dem Rhythmus zu bringen.
    »Es reicht!«, sagte Doronit. »Komm, Ash.« Sie zog ihn vom Rand der Klippe weg und ging dabei rückwärts, den Klippenrand und die Geister im Auge behaltend.
    »Zuneigung ist Torheit«, flüsterte der Windgeist ihr zu, doch sie beachtete ihn nicht, sondern fing an zu pfeifen.

    Es war eine andere Melodie, zwar die gleichen fünf Noten, aber in einer anderen Reihenfolge. Ash war erst imstande, mit dem Pfeifen seiner Melodie aufzuhören, als sie ihm ihre kalte Hand auf den Mund legte. Im gleichen Moment stoben die Geister kreischend davon und zogen wie zerrissene Umhänge am Himmel entlang.
    Auf dem Rückweg in die Stadt wartete sie darauf, dass er Fragen stellen würde. Doch er schwieg. Er dachte über ihre Worte nach. »Nicht in diesem Jahr.« In anderen Jahren hatte sie also den geforderten Lohn bezahlt. Aber mit welcher Münze? Wer war im vergangenen Jahr mit ihr zu den Klippen gegangen?
    In dieser Nacht verwandelte sie sich in seinen Träumen, im Augenblick des Höhepunkts, in einen Windgeist. Doch selbst

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