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Die Prophezeiung der Steine

Die Prophezeiung der Steine

Titel: Die Prophezeiung der Steine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela Freeman
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niederhackten. Er hatte zu viel Angst gehabt, um dem Befehlshaber der Truppe auf den Rücken zu springen, obwohl
dieser genau unter ihm auf seinem Pferd saß, und vielleicht, ja vielleicht hätte er ihn mit sich auf die Erde reißen können …
    Und was dann? Er schimpfte auf sich. Er war erst fünf Sommer alt gewesen. Fünf. Der Kriegsherr hätte ihn wie eine Fliege weggeschlagen. Und dann wäre er tot gewesen, wie alle anderen.
    Die Anstrengung, diese Erinnerung zu verdrängen, ließ Saker zittern, diese schlimmste aller Erinnerungen, die kam, nachdem die Männer des Kriegsherrn die Leichen weggeschleppt hatten und die Sonne untergegangen war. Er war so lange auf dem Baum geblieben, dass er sich nass gemacht hatte, aber nun konnte er nicht länger dort bleiben. Seine Hände zitterten vor Ermüdung, und fast wäre er hinuntergefallen. Also stieg er langsam und vorsichtig den Baum hinab und schaute sich sicherheitshalber bei jedem Schritt in beide Richtungen um.
    Er war durch das Dorf gegangen, das er wie seine Westentasche kannte, sogar bei Nacht, doch es war niemand mehr da. Nur leere Häuser. Und er.
    Die Leichen waren ein wenig weiter auf einem Hang aufgehäuft worden. Er mied sie, untersagte sich jeden Gedanken an den bereits aufsteigenden Geruch, war froh, dass die Dunkelheit die Körper vor ihm verbarg. Der einzige Mensch im Dorf zu sein war seltsam gewesen, wie in einem Traum, und es hatte ihn an etwas erinnert. Dann war es ihm eingefallen. Die Lieder und die Geschichten über den ersten Einfall beschrieben, wie Acton seinen Leuten befahl, die Menschen zu töten, nicht aber ihre Häuser in Brand zu stecken, sodass sie wieder benutzt werden konnten.
    Die Invasion hatte sich über fast tausend Jahre hingezogen, und Actons Leute waren nach und nach tiefer in das Land eingedrungen, aber diese Anordnung war immer
befolgt worden. Die letzte Offensive der blonden Krieger hatte keine zweihundert Jahre zuvor stattgefunden. Sakers Großeltern hatten darüber gesprochen, als wäre es gestern gewesen. Bei dieser letzten Welle des Überfalls hatten sie die meisten Dorfbewohner in den Wald getrieben und dort getötet. Der Rest dieser Ureinwohner hatte schließlich hier gelebt, in Cliffhaven, auf dem ärmsten Land in den Domänen, dem Land, das niemand sonst wollte.
    Bis zu jenem Tag.
    Und allein im Haus seines Vaters weilend, hatte der junge Saker gewusst, dass sie zurückkommen würden. Sie würden in ihren Häusern wohnen, ihr Land bewirtschaften, ihre Schafe melken und ihre Vorräte verbrauchen.
    Dies hatte ihn mit einem ungeheuren, bebenden Zorn erfüllt, der über ihn hinauszuwachsen schien, weit hinaus auch über den Schock, Zeuge der Ermordung seiner Familie gewesen zu sein. Aus diesem Zorn hatte sich über die Trostlosigkeit des menschenleeren Dorfes hinaus ein tiefes, brennendes Gefühl der Ungerechtigkeit entwickelt.
    Er würde zu den Göttern gehen.
    Er hatte gesehen, wie seine Familie herausgezerrt und vor seinen Augen ermordet wurde. Also hatte er das Haus so vorgefunden, wie es immer war. Weder Leichen noch Blut erwarteten ihn. Die Soldaten hatten nichts mitgenommen. Als Erwachsener hatte ihn das gewundert. Normal war das nicht. In jedem Lied über den Überfall, das er gehört hatte, waren die Häuser auf Actons Geheiß nicht niedergebrannt worden, um als Zuflucht für die Alten und die Kinder zu dienen, die den Kriegern über die Berge folgen sollten. Dafür hatten die Krieger alles, was nicht niet- und nagelfest war, als Kriegsbeute mitgenommen. Aber hier nicht. Zwanzig Jahre später begriff er noch immer nicht, warum.
    Jeden vertrauten Gegenstand an seiner angestammten
Stelle zu sehen, ohne die Menschen, die ihn benutzten, hatte es für den jungen Saker noch schlimmer gemacht. Er hatte Kleider zum Wechseln und etwas zu essen in den Rucksack seines Vaters gepackt und dabei Gewissensbisse verspürt, ihn in die Hand zu nehmen (»stell den ab, Junge, der gehört dir nicht!«); aber er hatte beschlossen zu überleben. Er hatte das Geld seines Vaters unter dem Ziegelstein in der Feuerstelle hervorgeholt, die Ohrringe seiner Tante, den Armreif seiner ältesten Schwester, eine Decke und ein Küchenmesser, das er fest in die Hand nahm. Es war ein schwarzes Steinmesser, das sein Vater gefertigt hatte, mit Erlaubnis der Götter aus dem schwarzen Fels in der Nähe des Felsaltars gehauen. Sein Vater hatte zu den Göttern gesprochen. Auch er würde nun mit ihnen reden.
    Sicherheitshalber war er durch das Hinterfenster

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