Die Prophezeiung der Steine
schlecht, nach Innereien und Kot.
Dann sah er die Frau, deren Gedärme über den Holzfußboden gequollen waren. Das war der Gestank. Der Mann lag neben ihr, ohne sichtbare Verletzung, aber tot.
Sie waren tot.
Er tastete sich draußen an der Wand entlang, bis er an die Ecke des Hauses gelangte, wo er das Gesicht in den Wind hielt. Er spürte, wie der Schweiß auf seiner Stirn abkühlte, und versuchte, gegen seinen Brechreiz anzukämpfen. Gallenflüssigkeit stieg ihm in die Kehle, er kämpfte dagegen an, hatte jedoch keinen Erfolg. Ein Windstoß blies ihm etwas von dem Erbrochenen auf seine Stiefel, worauf er eine Handvoll Gras nahm und verzweifelt versuchte, es sich abzuwischen … damit sein Vater es nicht bemerken, ihn nicht als Schwächling verachten würde.
Es lag an dem Gestank, sagte er sich. Damit hatte er nicht gerechnet.
Die Ausbildung zum Zauberer hatte ihn gelehrt, wirre Gedanken zu ordnen und sich zu konzentrieren. Er nahm das Bild des toten Ehepaars und schob es energisch zur Seite. Dann holte er tief Luft.
»Die erste Rache«, sagte er mit tönender Stimme, als höre sein Vater zu. »Weitere werden folgen.«
Für den Fall, dass ihn jemand mit dem Erwachen der Geister in Verbindung bringen würde, umging er das Dorf und kam in der Nähe des Flusses an der anderen Seite wieder auf die Straße, wo er im Schatten eines kleinen Wacholderbaums wartete. Das war angemessen, dachte er. Der Geruch führte ihn in seine frühe Kindheit zurück, bevor die Männer des Kriegsherrn gekommen waren …
Vor ihrem Haus hatte ein Wacholderbaum gestanden, und seine Tante hatte die Beeren zum Kochen verwendet. Weil der Baum so alt war, hatte man ihm verboten, hinaufzuklettern. »Der ist noch älter als Actons Leute«, sagte sein Vater und tätschelte den Stamm liebevoll. »Bleib weg davon, Junge.«
Saker konnte sich nicht daran erinnern, dass sein Vater ihn jemals bei seinem richtigen Namen genannt hätte. Saker war Junge , oder du , oder, bei guter Laune, Jüngchen . Ihm hatte das nichts ausgemacht. Junge genannt zu werden hatte ihm gefallen. Für Mädchen hatte sein Vater nicht viel übrig gehabt. Sakers drei ältere Schwestern und das Baby hatte er kaum zur Kenntnis genommen.
Saker hatte sich sehr bemüht, seinem Vater zu gefallen. Das taten sie alle, im ganzen Dorf. Und das nicht nur, weil sein Vater stark gewesen war und dies durchaus jedem beweisen konnte, der ihn herausforderte. Nein, er war auch klug gewesen, weithin für seinen Witz und seine List bekannt. Saker hatte die anderen Dorfbewohner so etwas sagen hören, für gewöhnlich, wenn sein Vater einen von Actons Leuten bei einem Geschäft übers Ohr gehauen hatte.
Dieser Wacholderbaum … Seine Äste waren so einladend, sein Stamm bot genau den richtigen Halt beim Klettern. Von oben, hatte Saker gedacht, würde man aus dem Tal
hinaus und bis nach Cliffhold sehen können, wo der Kriegsherr lebte. Wochenlang kämpfte er mit sich, aber eines Tages, als er glaubte, sein Vater sei mit dem neuen Mutterschaf draußen auf den Feldern, war er hinaufgeklettert.
Er hatte Recht gehabt, man konnte tatsächlich aus dem Tal hinausschauen, allerdings nicht bis Cliffhold, was noch einen Tagesritt entfernt war. Hätte er in die andere Richtung geschaut, hätte er sich umgedreht, um die schroffen Berge dahinter zu betrachten, hätte er sie vielleicht kommen gesehen …
In all den Jahren seitdem hatte sich diese Szene wieder und wieder vor seinem geistigen Auge abgespielt. Doch dieses Mal drehte er sich um, dieses Mal sah er die Männer des Kriegsherrn mit gezückten Schwertern über die Erhebung hinter dem Dorf kommen. Dieses Mal schrie und schrie und schrie er, sodass die Frauen Zeit hatten, sich zu verstecken, die Männer, sich zu bewaffnen, die Kinder, ins Unterholz zu kriechen …
Hätte es einen Unterschied gemacht? Als Erwachsener sagte er sich, dass dem nicht so gewesen wäre. Die Männer des Kriegsherrn waren Soldaten, die ihre Aufgaben kannten, und an diesem Tag war es ihre Aufgabe, zu töten. Alle. Vom Ältesten bis zum Jüngsten. Von der alten Tante Maize bis zu Sakers kleiner Schwester, die noch an der Brust der Mutter hing.
Alle, außer ihm. Denn als das Schreien begonnen hatte und er sich umdrehte, endlich, zu spät, blieb er wie erstarrt dort, wo er war, zu verängstigt, als dass er sich hätte bewegen können, zu verängstigt, um seinem Vater im Kampf gegen die Männer beizustehen, die seine Schwestern mit kurzen, wirkungsvollen Hieben ihrer Schwerter
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