Die Prophezeiung der Steine
auf. Die Nacht war erfüllt von Geräuschen; Knurren, Wiehern, das dumpfe Geräusch, mit dem Hufe auf Fleisch trafen, das Krachen, wenn Hufe auf Fels aufkamen, und schließlich Brambles Gebrüll. Sie hielt sich dicht an einer Wand der Spalte, außer Reichweite der Hufe, doch einer der Wölfe - der Leitwolf, wie sie bemerkte - umkreiste sie lauernd.
Sie wandte sich ihm zu. Hier stand er vor ihr, bekannt aus
vielen Geschichten, der böse Wolf, der Wolf aus dem Norden, mit scharfen, gefletschten Zähnen, mit auf dem Felsen klickenden Klauen, herumschleichend, seine Beute abschätzend. Kindliche Angst stieg in ihr auf. Sie sah, wie sich die Muskeln des zum Sprung bereiten Wolfs anspannten.
Unmittelbar bevor er abhob, machte sie einen Satz nach vorn und ging in die Knie, sodass er dicht über sie hinweg flog, statt ihre Kehle zu erwischen. Sie stieß ihm das Messer von unten in den Bauch und zog es dann hoch. Obwohl sie das Gefühl hatte, sie kugele sich die Schulter aus, behielt sie das Heft fest in der Hand.
Der Wolf heulte vor Schmerz auf, verdrehte sich noch in der Luft und landete unsanft auf seiner Flanke. Bevor er sich wieder aufrichten konnte, sprang Bramble mit beiden Knien auf ihn. Sie hörte nur noch das Geräusch von Luft, das aus den Lungen des Tieres entwich.
Dann verstummte die Welt um sie herum.
Der Wolf krümmte und wand sich mit unglaublicher Kraft unter ihr. Eine Klaue riss ihr den Arm auf. Sie hob das Messer mit beiden Händen und versenkte es, so tief sie konnte. Der Wolf zuckte unter ihr und blieb dann reglos liegen.
Einen Moment verspürte Bramble nur noch pure Erleichterung, als sei nun alles vorbei. Doch dann zerriss Lärm die Stille, und sie begriff, dass der Kampf um sie herum noch immer im Gang war.
Als der große braune Wolf, der den Angriff auf die Pferde leitete, erkannte, dass sein Leitwolf tot war, warf er den Kopf zurück und heulte. Bramble stand langsam auf, breitete den Kadaver des Leitwolfs aus, das Messer dabei in der Hand haltend, und fauchte das Rudel an. Sie fühlte sich dabei so tollwütig, wie sie klang. Bevor sie zuließ, dass sie ihre Pferde verletzten, würde sie sie alle töten.
Es waren nur noch drei von ihnen übrig. Vorher schienen es Dutzende gewesen zu sein. Eine Leiche lag vor Trine, zertreten und blutverschmiert. Der braune Wolf - es war eine Wölfin - starrte Bramble an und fauchte zurück. Bramble trat einen Schritt vor. Damit brach sie den Mut der braunen Wölfin. Diese jaulte auf und drehte sich um, woraufhin ihr die beiden anderen folgten. In der nahezu völligen Dunkelheit war auf ihrer Flucht nur das Weiße auf der Unterseite ihres Schwanzes zu sehen.
Bramble untersuchte die Pferde. Sie waren mit ein oder zwei Kratzern davongekommen, die zudem nicht besonders tief waren. Bramble reinigte ihre Wunden, säuberte dann ihre eigene, einen langen, ausgefransten Riss am Arm, der wahrscheinlich eine Narbe hinterlassen würde. Sie verband ihn notdürftig mit einem ihrer Hemden.
Bevor sie sich hinsetzte, zog sie die beiden Kadaver von der Felsspalte weg. Wenn sie erst einmal saß, würde sie nicht mehr aufstehen können, und noch vor Sonnenaufgang würden die Aasfresser kommen, vielleicht auch andere Jäger, zum Beispiel Bären. Diese würden sich nun mit dem Wolfsfleisch begnügen und nicht auf der Suche nach mehr zu ihnen kommen.
Dann setzte sie sich neben die Spalte und stieß einen tiefen, lang anhaltenden Seufzer aus. Die Pferde waren nach wie vor unruhig und zu verängstigt, als dass sie allein umhergestreunt wären, und irgendwie war Bramble erleichtert, weil sie nicht die Energie hatte, ihre Anbindeseile herauszuholen und Felsen zu suchen, die groß genug waren, um sie dort anzubinden.
»Also schön, Kameraden, jetzt sind wir wieder in Sicherheit«, sagte sie zu ihnen. »Beruhigt euch wieder, beruhigt euch.«
Und tatsächlich beruhigten sie sich unter dem Bann ihrer
Stimme, und Bramble konnte, aufrecht gegen den harten Felsen gelehnt, sogar ein wenig schlafen, obwohl ihr Arm schmerzte. Im Lauf der Nacht pochte und brannte er immer stärker, und Bramble befürchtete, dass sich die Wunde entzünden würde. Dann würde sie einen Heiler aufsuchen müssen. Aber wo?
Am Morgen sahen die Kratzer, die sich die Pferde zugezogen hatten, sauber aus und schienen zu verheilen. Ihr eigener Verband hingegen war blutdurchtränkt, und ihr Arm war heiß und rot. Sie fütterte und tränkte die Pferde, doch für sie selbst blieb kein Wasser übrig. Nur mit Mühe gelang
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