Die Prophezeiung der Steine
jung und albern vor. Unangenehm war das Gefühl nicht.
»Dann wirst du sie verstehen und ihr vergeben«, sagte er. »Sie nimmt nur, was sie braucht.«
»Wie meinst du das?«, fragte sie, doch er lächelte nur, schüttelte den Kopf und bedeutete ihr, den Pferden zu folgen.
Verärgert darüber, dass er seine Andeutung nicht näher erklärte, schaute sie ihn eine Weile an. Dann folgte sie den Pferden ans Ufer. Diese kamen auf sie zu, um mit der Nase gegen ihre Schulter zu stoßen, wobei Trine die anderen beiseiteschob, um näher an sie heranzukommen. Bramble beschäftigte sich noch eine Weile damit, zu satteln und ihr Gepäck festzuzurren. Dabei bemühte sie sich, nicht an die Reisen zurückzudenken, die sie mit dem Rotschimmel unternommen hatte. Das heiße Brennen aus Kummer und Schuldgefühl in ihr verschwand nie ganz, aber sie musste damit leben. Bramble holte tief Luft, verdrängte die Erinnerungen und beschloss, erneut auf Trine zu reiten. Diese neue Zuneigung sollte genährt werden.
Als sie im Begriff war aufzusteigen und gerade überlegte, was sie Eel sagen sollte, tauchte Salamander zwischen den kahlen Weidenruten auf.
»Hallo!«, sagte er vergnügt. »Bist du fertig?«
Sie schaute Eel an.
»Er wird dir den Weg zur Straße zeigen.« Er warf Salamander einen strengen Blick zu. »Lass dich nicht umbringen, und verliebe dich nicht in eine Frau vom Festland.«
Die Männer im Boot lachten.
Salamander stieß einen Seufzer aus. »Onkel, ich werde versuchen, beides zu vermeiden.«
»Gut!« Mit einer Geste, die Zuneigung und Abschied
zugleich war, schlug Eel ihm fest auf die Schultern. Dann wandte er sich Bramble zu.
»Pass auf ihn auf. Wenn er sich verletzt, wird meine Schwester meine Eingeweide als Angelschnur verwenden.«
»Oh, ich glaube, er kann auf sich selbst aufpassen«, sagte Bramble trocken. Salamander warf ihr einen dankbaren Blick zu. »Auf Wiedersehen. Danke.«
»Nein, wir sind es, die sich bei dir bedanken«, sagte Eel. »Du hast viel riskiert, um uns die Warnung zu überbringen.« Er verbeugte sich förmlich, den Hut dabei in der Hand haltend. »Die Götter sind bei dir.«
»Gesegnet seiest du und die deinen«, erwiderte Bramble.
Sie drehte sich um und führte die Pferde weg, Salamander an ihrer Seite.
»Ich hasse Verabschiedungen«, sagte Salamander fröhlich. »Hier entlang.«
Er führte sie einen schmalen, durch ein Gewölbe an kahlen Ulmenästen verlaufenden Pfad entlang, den sie allein leicht hätte übersehen können. Unter ihren Füßen raschelten vertrocknete Blätter, und vom See stieg, wie zur Verabschiedung, eine kühle Brise empor. Während sie den überdachten Pfad entlanggingen, verspürte Bramble einen Schauder, eine Art Vorahnung. War das Angst? Sie duckte sich, um einem niedrig hängenden Ast auszuweichen, und als sie den Kopf wieder aufrichtete, hätte sie sich vor Überraschung fast auf die Zunge gebissen.
Die Ulmen um sie herum waren grün, trugen helle, gelbgrüne Frühlingsblätter. Die Sonne stand höher an einem mit Wolken übersäten Himmel, in der Luft lag der schwere, berauschende, kräftige Geruch nach Erde, wie nach einem frischen Frühlingsregen. Die Brise war nun warm, und als Bramble sich umschaute, erkannte sie, dass der Pegel des
Sees wesentlich höher war, genau wie sie es in ihrem Traum in der vergangenen Nacht gesehen hatte.
Salamander wandte sich ihr zu und lächelte sie voll Unbehagen an, halb entschuldigend, halb erschreckt. »Sie hat bloß ein bisschen Zeit genommen«, sagte er beschwichtigend. »Bloß ein paar Monate.«
Ihr Atem ging so rasch, als wäre sie gelaufen. Dann wirst du begreifen und ihr vergeben , hatte Eel gesagt. Das also hatte er gemeint. Sie nimmt nur, was sie braucht . Bramble holte langsam Luft, bemüht, ihren Herzschlag zu verlangsamen. Mit einem Mal musste sie grinsen. Dies beantwortete ihr die Frage, ob der Traum wahr gewesen war. Erneut verspürte sie den Rausch und die Aufregung, die der Traum bei ihr ausgelöst hatte. Zauberei . Mit echtem Zauber hatte sie es noch nie zu tun gehabt, nur mit der Gegenwart der Götter, die Teil ihres Bluts und ihrer Knochen war. Nein, Zauberei konnte es nicht sein - das war etwas, das Menschen unternahmen. Zwei Menschen und drei Pferde durch die Zeit zu bewegen oblag einer anderen Macht.
Salamander betrachtete sie besorgt.
»Auch du hast Zeit verloren«, sagte sie.
Salamander schien erfreut zu sein, dieses eine Mal nicht angeschrien zu werden. Plötzlich entspannt, lächelte er. »Oh,
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