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Die Prophezeiung der Steine

Die Prophezeiung der Steine

Titel: Die Prophezeiung der Steine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela Freeman
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sie sich bereitwillig von ein paar Münzen trennten, um sich das Vergnügen zu leisten, mich jonglieren zu sehen oder meine Schwestern singen zu hören. In einem solchen Jahr aber gab es keine kostenlosen Lebensmittel an den Türen von Bauernhöfen, kein zusätzliches Feuerholz zum Preis von Jonglieren und Purzelbäumen. In den Städten war es genauso übel. Ohne wohlhabende Bauern mit Auftragsarbeiten und ohne glückselige Kaufleute, die nach Möglichkeiten suchten, ihr überschüssiges Silber auszugeben, verloren die Handwerker ihre Beschäftigung. Sogar die Gastwirte klagten in diesem Jahr, denn die Gerste kostete den doppelten Preis wie im Jahr zuvor, und der Hopfen wurde mit Kupfer aufgewogen.
    Im Hochsommer sah ich einem bitteren Hungerwinter entgegen, und es versetzte mich in Schrecken wie nie etwas zuvor.
    Rawnie, Rumer und ich waren schon vier Jahre lang allein auf der Wanderschaft, seit wir uns von unserer Mama und unserem Papa in Foreverfroze getrennt hatten, weit oben im Norden. Papa hatte Gefallen an der kalten Luft und dem weißen Himmel des Nordens gefunden, und Mama hatte vor, das Angeln so zu erlernen, wie es die Frauen von Foreverfroze ausübten. Sie war überhaupt eine gute Anglerin. Mama hatte eine Leidenschaft für Weißfisch und Goldbrassen entwickelt, die keiner von uns nachvollziehen konnte.
    Also gingen meine Schwestern und ich auf die Wanderschaft und schlugen uns alles in allem ganz gut durch. Immerhin waren wir Kinder der Straße und hatten unser ganzes Leben damit verbracht, der Trommel auf Papas Rücken zu folgen, auf Landstraßen und Nebenstrecken, während
Mama hinter uns pfiff, um uns auf den langen Strecken bei Laune zu halten.
    Als Jüngste war ich es gewohnt, dass sich jemand um mich kümmerte. Ich brauchte lediglich zwei Monate, bis ich begriff, dass weder Rumer noch Rawnie mit Silber umgehen konnten, ohne dass es ihnen wie Sand durch die Finger rann, genau wie bei unserem Papa. Ich war so dickköpfig wie Mama, und ich nahm ihnen die Börse ab und teilte ihnen das Kupfer so sparsam zu, als sei es Gold.
    Schon bald war ich es, die bestimmte, wohin wir gehen und was wir singen sollten, und ich war es auch, die sie dazu bewegte, zehn Silberstücke als Reserve zu behalten, sogar wenn dies bedeutete, für unser Essen huren zu müssen. Wenn wir wussten, dass ein Gastwirt uns für eine Nummer etwa zu essen geben würde, war es besser, sich zehn Minuten lang auf den Rücken zu legen und etwas zu essen zu haben, als eines Tages völlig abgebrannt in einem Gasthof zu landen, der von einer Frau betrieben wurde. »Ich werde nicht Hunger leiden«, sagte ich, »und ich werde nicht bei Regen draußen schlafen. Was gut genug für Mama und Papa war, ist auch gut genug für uns.«
    Nicht, dass ihr mich falsch versteht, ich habe genauso viel Zeit auf dem Rücken verbracht wie sie, obwohl ich es wohl mehr gehasst habe. Ich hasste den ausdruckslosen Blick der Gastwirte und die Verachtung in ihrem Gesicht, ihren Geruch - fast immer dieser Altemännergeruch oder doch dieser muffig-schmutzige Biergeruch und der Ledergeruch von ihrem Wams -, denn häufig machten sie sich gar nicht erst die Mühe, sich auszuziehen, nicht für den Preis eines Abendessens.
    Rawnie und Rumer waren ausgeglichene Mädchen, federleicht, was Körper und Geist anging, so wie es bei Jongleuren auch sein sollte. Sie übten so oft, wie ich es wollte,
taten es auch nicht widerwillig, interessierten sich aber vor allem für junge Männer. Sobald sie sich ihre Übernachtung verdient hatten, falls dies nötig war, wuschen sie sich und bürsteten sich die Haare, legten ihr strahlendes, eingeübtes Lächeln auf und sangen und jonglierten, als sei nichts gewesen. Das mussten sie aber nur selten, höchstens einmal alle zwei, drei Monate, wobei wir uns abwechselten. Ich hingegen konnte mich an jedes Mal erinnern, als hätte ich dabei meine rechte Hand verloren. Ich dachte viel darüber nach, obwohl es ja meine Idee gewesen war.
    Jongleure brauchen nicht zu lächeln; wer ein besorgtes Gesicht macht, erhöht vielmehr die Spannung. Wird sie einen Kegel fallen lassen? Wird sie Feuer fangen? Auf den Plätzen in der Stadt warf ich manchmal brennende Stäbe in den Sommernachtshimmel hinauf, wie Notsignale oder Warnfeuer, aber an wen gerichtet, wusste ich nicht. An solchen Abenden regnete es Kupfermünzen auf uns herab, und manchmal auch silberne.
    Rumer meinte, es verletze mich deshalb mehr als sie beide, weil ich es nie mit einem süßen jungen

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