Die Prophezeiung der Steine
Blick zu. »Man muss der Herr seines Tieres sein«, sagte er.
»Nicht bei diesem.«
Während sie in die Stadt ritten, bemühten sie sich aus Respekt, einander nicht mit Fragen zu durchlöchern. Aber einige mussten gestellt werden.
»Du warst Wanderer?«, wollte Bramble wissen.
Gorham war verblüfft. »Woher weißt du das?«
»So wie du mich angeschaut hast - ich meine, so wie du mich nicht angeschaut hast.« Sie suchte nach den richtigen Worten. »Keine Verachtung … kein Misstrauen.«
Gorham nickte. »Ja, ich weiß, was du damit meinst, Mädchen.« Erneut zupfte er sich an der Lippe. »Wir waren Wanderer, meine Osyth und ich, aber nach Pless kamen wir dann als Handwerker, und hier ist niemand, der weiß, was wir einmal waren. Verstehst du warum?«
Bramble nickte. Sie verstand es nur zu gut.
»Osyth drängt mich dazu, Mitglied des Stadtrats zu werden.« Er kicherte. »Ich kann mir keine Stadt vorstellen, in der ein Wanderer in den Stadtrat gewählt wird. Du etwa? Also, wenn es dir nichts ausmacht …«
»Ich werde es nicht ansprechen.« Nun war sie es, die kicherte. »Bei mir ist es andersherum. Ich bin als Handwerkerin groß geworden und erst seit Kurzem auf der Wanderschaft.«
»Tja, die Welt ist schon lustig«, sagte Gorham ruhig. »Wir sollten Osyth lieber nicht sagen, dass du auf der Wanderschaft bist. Was waren deine Eltern?«
»Tischler und Weberin.«
»Gute, solide, ehrbare Handwerker.« Als sie das Gesicht verzog, musste er lachen. »Ja, ich weiß, du hast genug von Ehrbarkeit.«
»Schon in der Wiege hatte ich genug davon!«
Er lachte abermals. »Na ja, dann versuchen wir mal, drau ßen auf dem Hof nicht allzu ehrbar zu sein. Das bewahren wir uns für die Stadt auf.«
Sie erreichten das Stadthaus - ein hübsches, ehrbares Haus, dachte sie bitter - und ritten durch das Hoftor zu den Ställen, um die Pferde unterzustellen und sich die Hände zu
waschen, bevor sie durch die Hintertür in die Küche traten. Bramble ließ sich ein wenig zurückfallen, mit einem Mal unsicher, ob sie die Nacht innerhalb geschlossener Wände verbringen wollte, doch ihr fiel keine Ausrede ein.
Osyth schnitt gerade Möhren am Tisch. Als Gorham eintrat, stand sie rasch auf, gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange und wandte sich dann wieder von ihm ab. Er schaute sie einen Moment lang an, als warte er noch auf etwas. Schließlich stieß er einen leisen Seufzer aus und wandte sich Bramble zu.
»Wir haben einen Gast«, sagte er.
Bramble trat vor. Ein wenig beklommen wartete Gorham ab, wie Osyth sie aufnehmen würde. Das Mädchen besaß die wildere Version von Osyths Schönheit, dachte er. Mit ihrem schwarzen Haar wohnte ihr eine geschmeidige Schönheit inne, und sie sah alles andere als gewöhnlich aus. Während die beiden einander gegenübertraten, wurde Gorham bewusst, dass ihn auch die Frage, was Bramble von Osyth halten würde, ein wenig nervös machte. Die Situation ließ ihn seine Frau mit neuen Augen betrachten, vielleicht so, wie Bramble sie wahrnahm.
Osyth war immer noch wunderschön, eine zierliche Frau mit schwarzem, zu einer einfachen Rolle zurückgekämmten Haar und kleinen, anmutigen Händen. Nur ihr Mund mit seinen heruntergezogenen Winkeln und den ein wenig zusammengepressten Lippen deutete auf einen Mangel an Großmut hin. Dazu kam die Art, wie sie Bramble fixierte.
Gorham beobachtete, wie seine Frau alles bewertete, und konnte ihre Reaktionen so einfach ablesen, wie es ein Reiter bei einem neuen Pferd vermochte: verengter Blick (ihre Hautfarbe, schlecht - eine Wandrerin), ein leises Nicken (wie ein Mann gekleidet, aber gute Qualität), ein missbilligendes Naserümpfen (keine Schuhe), und hochgezogene
Brauen (ihre Satteltaschen - ein Gast für wie lange?). Er erinnerte sich an die Zeit, als seine Frau noch sorglos und wild gewesen war. Aber das war lange, bevor die Kinder gekommen und sie sesshaft geworden waren. Etwas hatte sich vor langer Zeit geändert.
Es hatte eine Zeit gegeben, als Osyth stets sein Gesicht in die Hände genommen und ihn liebevoll angeschaut hatte. Im Laufe der Jahre war der Blick eher forschend geworden, und schließlich lag Enttäuschung darin. Diese Enttäuschung hatte seine Liebe ausgelaugt, da er sich durch ihre Blicke herabgesetzt fühlte. Dennoch vermisste er es nach wie vor, dass sie ihn anschaute, vermisste, dass sie ihm Aufmerksamkeit schenkte, selbst wenn diese zu Enttäuschung führte. Mittlerweile war sie nur noch an Silbergeld interessiert und daran, in der
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