Die Prophezeiung der Steine
Er wusste, was man über sie sagte: »Die zählt ihr Wechselgeld dreimal, wirklich.« Das hatte Maude ihm berichtet. Doch seit sie ihre Barschaften übernommen hatte, hatten sie keinen einzigen Tag hungern müssen, und ohne ihre sparsame Haushaltsführung hätte er nie genug zusammenbekommen, um den Hof zu kaufen. Getan hatte er dies, um ihr eine Freude zu machen, doch nun begriff er, dass sie ihn besser kannte, als er sich selbst; der Bauernhof war der Ort, an den er gehörte. Und es gefiel ihm auch, dort zu sein. Dort entging er dem Vorwurf, der in ihrem Blick lag. Liebe, Reue, Scham und Verärgerung mischten sich gleichermaßen in ihm, und zwar heftig. Er hielt es nicht länger aus.
»Ich gehe dann noch auf ein Ale hinaus …«, sagte er.
Sie schaute ihn an. Er sah, dass Zorn in ihr aufkam, und auch, wie sie diesen mit eisenharter Disziplin unterdrückte. »Solange dieses Mädchen da ist, kannst du nicht ausgehen«, sagte sie. »Du bist ihr Gastgeber. So etwas ziemt sich nicht.«
Das brachte ihn aus der Fassung.
»Du wärst nicht rechtzeitig zum Frühstück wieder zurück«, sagte sie. »Das bist du nie. Was sollte ich dann Bramble sagen?«
Es war das erste Mal, dass sie seine nächtlichen Abwesenheiten ansprach. Sie verwendete alles gegen ihn, dachte er voller Groll, aber was konnte er sagen? Sie bewegten sich auf dünnem Eis, keiner von ihnen sprach an, wohin er wirklich ging, keiner war bereit, die Wahrheit auszusprechen. Falls diese Wahrheit jemals ausgesprochen wurde, würden sie nicht so weiterleben können, wie sie es bisher taten -
ihre gemeinsame Zeit mit zumindest ein wenig Würde und Ruhe zu verbringen. Außerdem würde er den Streit nicht ertragen, der dann ausbrechen würde. Er wollte bloß ein wenig Trost, ein ungezwungenes Lachen und ein paar Liebkosungen. Mit Osyth war alles so ernst. Alles war von Bedeutung, bei allem ging es um Leben oder Tod. Sie forderte zu viel von ihm, und das war die ganze Wahrheit. Deshalb war sie immer enttäuscht, wenn sie ihm in die Augen schaute.
Starr und steif stand sie da, einen Wischlumpen mit beiden Händen so fest umklammernd, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. Sie wartete.
»Na ja, du hast wohl Recht«, sagte er schließlich. Er sah, wie sie sich entspannte und sich ihre Mundwinkel triumphierend verzogen.
Sich von der Vorstellung lösend, wie Maude mit ihm auf dem Teppich vor ihrem Feuer kuschelte, brachte er ein Lächeln für Osyth auf. Er war nicht stark genug, um das zu sein, was sie wollte, aber das war nicht ihre Schuld. Und sonderbarerweise lag immer noch Liebe in dieser erstarrten Mischung aus Scham und Enttäuschung. Da war er nun, gefangen von ihrem Blick, ihrer Anmut und ihrer feingliedrigen Schönheit, genau wie er es gewesen war, als er zum ersten Mal gesehen hatte, wie sie mit ihren Schwestern jonglierte und Purzelbäume schlug, draußen während der Wanderschaft.
Er trat auf sie zu und berührte ihre Wange. »Dann komm, Liebes, lass uns ins Bett gehen.«
Sie errötete, drehte sich um und ging Arm in Arm mit ihm die Treppe hinauf in das Schlafzimmer.
Osyths Geschichte
Der Sommer, als ich siebzehn war, war eine Katastrophe. Vor der Heuernte regnete es drei Wochen lang, und das Heu verrottete auf den Feldern. Diese glichen eher Seen, sodass das Heu von unten wegfaulte und stank wie Sumpfgas. Es regnete so lange, dass der Weizen sich legte und das Korn an den Ähren keimte. Das Obst quoll auf und verfaulte an den Bäumen, und das wenige, was geerntet wurde, verschimmelte über Nacht. Sogar die Pilze wurden weggeschwemmt.
Die Großmütter schüttelten den Kopf und sagten einen schrecklichen, harten Winter voraus, karg und entbehrungsreich. Die Bauern mussten sich entscheiden, welche ihrer Tiere sie töteten, denn sie hatten nicht genug Futter, um alle durch den Winter zu bringen. Es war besser, jetzt einen Teil des Fleischs zu räuchern und damit genug Futter übrig zu haben, um die Zuchttiere durch den Winter zu bringen.
Die Handwerker in der Stadt kauften, so viel sie konnten - Gerste, Hafer und Linsen -, bis die Preise in die Höhe schossen und die Stadträte heftig darüber stritten, ob sie das Recht dazu hatten, eine Preisgrenze auf Grundnahrungsmittel anzusetzen. Manche taten es, andere nicht, und wo es nicht geschah, sahen die Familien einem todbringenden Winter entgegen.
Mich erschreckte es. Das Leben auf der Wanderschaft
war schon in guten Jahren hart genug, wenn die Felder blüten und die Bauern so voller Hoffnung waren, dass
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