Die Prophezeiung des Adlers
selten durch den Kopf. Er ging dorthin, wo gekämpft wurde, und machte seine Sache so gut er konnte. Bisher hatte er überlebt. Aber alles Gute endete einmal, überlegte er, und vielleicht war es jetzt so weit.
Die Lage war zweifellos nicht vielversprechend. Die Römer saßen in der Bucht fest und hatten keine Hoffnung, sich durch das Dutzend verbliebener Piratengaleeren, die sie umringten, aufs offene Meer hinauszukämpfen. Doch Macro hatte noch immer die Hälfte seiner Männer. Sie säumten die Relings der vier mit Enterhaken aneinander festgemachten Schiffe, und bisher hielten sie die Stellung. Sie waren insofern im Vorteil, als sie Verteidiger waren und nicht das Risiko eingehen mussten, ein feindliches Schiff zu entern. Dieser Teil der Operation war nun wirklich endgültig vorbei.
Macro blickte sich mit einer gewissen Befriedigung in der Bucht um. Die andere Trireme ging langsam unter; nur das oberste Deck war noch zu sehen, und noch immer leckten Flammen von den verkohlten Überresten des aufgerollten Segels, das vom Mast herabhing. Rundum standen in der Bucht noch sechs Schiffe in Flammen. Den Piraten war es gelungen, an Bord zweier weiterer brennender Schiffe zu gelangen und das Feuer zu löschen, aber die Takelage hatte bereits so stark gelitten, dass für die Reparatur mehrere Tage nötig waren. Die Hälfte der Piratenflotte war zerstört oder vorläufig unbrauchbar gemacht worden, und die Schiffe und Männer, die übrig geblieben waren, hatten sich bei dem Versuch verausgabt, Macros Truppe zu vernichten. Wenn Vespasian erst einmal eingetroffen war, würde er sie mühelos besiegen. Der Plan des Präfekten hatte gut funktioniert, selbst wenn man die mögliche Opferung Macros und seiner Voraustruppe mit einrechnete.
Macro hatte bereits den Befehl erteilt, jedes Schiff in Brand zu setzen, dem die Übernahme durch die Piraten drohte, und sich dann zum nächsten römischen Schiff zurückzuziehen. Wenn natürlich die Verteidigung der letzten Galeere durchbrochen und das Feuer gelegt war, dachte er grimmig lächelnd, war jeder auf sich gestellt und konnte nur noch über Bord springen. Falls es so weit käme, würde er dafür sorgen, dass die Sanitäter den Verwundeten einen Ausweg vor den Flammen und den Piraten boten.
»Herr! Centurio Macro, Herr!«
Macro hörte den Ruf über das wütende Gebrüll der Kämpfenden, das Klirren der Waffen und die Schreie der Verwundeten hinweg und wandte sich danach um. Am Bug der Trireme sah er den Optio, der für das Katapult verantwortlich war, winken, um seine Aufmerksamkeit zu erregen.
»Was ist?«, rief Macro zurück. Aber seine Kehle war trocken, und die Worte kamen als Krächzen heraus. Er spuckte aus, räusperte sich und versuchte es erneut mit trichterförmig an den Mund gelegten Händen. »Was?«
»Dort, Herr! Schau dort!« Der Optio zeigte auf die Landspitze. Vom Achterdeck aus sah Macro nichts als das offene Meer. Doch die Piraten, die in ihren Schiffen auf dem Weg zum Kampf waren, drehten sich ebenfalls nach dem offenen Meer um, und nach einem Augenblick des Schweigens hörte Macro Schreie der Wut und der Verzweiflung über das Wasser hallen. Stirnrunzelnd blickte er wieder meerwärts, und seine Verwirrung verwandelte sich in Hoffnung und dann in Freude, als ihm dämmerte, was sie gesehen haben mussten.
In diesem Augenblick kam der Bug eines Kriegsschiffs hinter der Landspitze hervor. Der lange Rumpf folgte, und zu beiden Seiten wühlten Riemen die See auf. Dann tauchte der Mast mit dem vom Wind geblähten roten Segel auf. Und mitten auf dem Segel prangte die verblasste Silhouette eines Adlers.
KAPITEL 39
A ls der Ausblick auf die Bucht sich vor der Quinqui - reme auftat, erglühte Vespasians Herz vor Befriedigung. Macro und seine Leute hatten gute Arbeit geleistet. Der größte Teil der Piratenflotte war beschädigt oder vernichtet. Der Rest bedrängte eine kleine Gruppe von Schiffen, auf denen noch gekämpft wurde. Zumindest ein Teil der Männer, die der Präfekt vorausgeschickt hatte, war also noch am Leben. Er atmete tief durch und lächelte, als die Bürde der Schuldgefühle, die er wegen der Opferung Macros und seiner Leute empfunden hatte, von ihm abfiel. Schon lösten die Piraten sich von Macros Schiff und wandten sich der neuen Bedrohung entgegen. Doch als immer mehr römische Kriegsschiffe hinter der Landspitze hervorkamen, zerbröckelte der Wille zum Widerstand. Die Piraten hatten keine Zeit, die Verteidigung gegen die Flotte Ravennas zu
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