Die Prophezeiung des Adlers
ihnen so schnell wie möglich zu Hilfe eilen. Und nicht nur der Gedanke an das Leben seiner Männer belastete ihn. Wenn dieser Plan fehlschlug, würden die Piraten entkommen und könnten dann wieder der Schifffahrt in der Adria auflauern. Telemachos würde weiterhin ein Lösegeld für die Schriftrollen fordern, und Vespasian würde in Ungnade fallen.
»Sieht so aus, als würde Centurio Macro seine übliche Verwüstung anrichten«, meinte Vitellius lachend, als er sich zu seinem Kommandanten auf dem Turm gesellte. »Wollen wir hoffen, dass dein Plan gelingt, Herr.«
»Er wird gelingen«, erklärte Vespasian fest.
»Das ist gut.« Vitellius nickte. »Denn wenn es aus irgendeinem Grund nicht so läuft, wie wir … wie du gehofft hattest, möchte ich gar nicht über die Folgen nachdenken … Herr.«
Vespasian presste die Lippen zusammen, ließ sich seine Verärgerung nicht anmerken und nahm sich vor, diesen Köder nicht zu schlucken. Vitellius genoss die Situation dagegen und streute gemüsslich noch mehr Salz in die Wunde.
»Es war natürlich ein riskanter Plan«, überlegte er laut. »Aber im Krieg sind Risiken wohl unvermeidlich. Ob die Leute in Rom wohl einsehen, dass es nötig ist, solche Wagnisse einzugehen? Ich kann nur hoffen, dass sie deine Überlegungen so gut verstehen wie ich, Herr.«
Vespasian hob die Hand. »Ich denke, das reicht, Tribun. Du hast deinem Herzen genug Luft verschafft.«
»Eigentlich nicht«, erwiderte Vitellius so leise, dass nur Vespasian es hören konnte. »Ich weiß nicht, wie du es geschafft hast, aber du wirst es noch bereuen, mir das Oberkommando genommen zu haben. Dafür werde ich sorgen. Eines Tages. Du wirst schon sehen. Verzeih mir also, wenn ich dir für deinen Plan kein gutes Gelingen wünsche.«
Vespasian betrachtete den Mann mit Abscheu und offener Verachtung. »Bei den Göttern! … Du wärest wirklich froh, wenn wir scheitern würden.«
»Natürlich.«
»Und unsere Männer dort draußen? Bedeutet dir ihr Leben denn gar nichts?«
Vitellius zuckte mit den Schultern. »Was bedeuten mir schon tausend Römer? Was für eine Rolle spielen sie denn? Sie sind nur die Spreu der Geschichte. Nur wer Geschichte schreibt, wird erinnert werden, mein guter Vespasian. Wofür hältst du dich nun? Für Spreu, oder für einen vom Schicksal Auserwählten?« Er betrachtete den Präfekten prüfend. »Wusste ich es doch. Erspare mir bitte die Moralpredigt über das Leben dieser Männer. Hier geht es nur um dich und deinen Platz in der Geschichte, alles andere kümmert dich nicht. Tu dir selbst den Gefallen, deine Motive als das zu sehen, was sie sind … Herr.«
Vitellius trat einen Schritt zurück, bevor Vespasian etwas erwidern konnte. Er machte den Rücken gerade, salutierte, warf dem Präfekten ein verschlagenes Lächeln zu und stieg vom Turm herunter. Vespasian sah ihm nach, wie er über das Deck davonschlenderte, und in seinem Herzen brodelte der Hass auf diesen Mann. Eines Tages würde es zur Abrechnung zwischen ihnen kommen, und dann würde nur einer den nächsten Tag erleben. Doch noch während Vespasian diesen Entschluss fasste und sich zu der Rauchwolke umwandte, die über der Landspitze aufstieg, spürte er, wie sich seiner ein entsetzlicher Zweifel bemächtigte. Vitellius hatte seinen Ehrgeiz richtig beurteilt. Und aus Dankbarkeit für dieses Wissen beschloss Vespasian, den Tribun zum Kommandanten der ersten Angriffstruppe zu ernennen, die an Land ging.
»Richtet das Katapult auf dieses Schiff aus!«, brüllte Macro zu der Abteilung Marineinfanteristen im Turm hinauf. Der Centurio deutete mit ausgestrecktem Arm auf eine Bireme, die seitlich um sie herumschwenkte. Zum Glück hatte Telemachos seinen Leuten offensichtlich befohlen, die Schiffe in römischer Hand zu entern und einzunehmen, statt sie zu rammen und zu versenken. Aber das, überlegte Macro rasch, war nur eine kleine Gnade, die ihn angesichts der überwältigenden Überzahl der Feinde nicht mit besonders großer Dankbarkeit erfüllte.
Nur drei seiner Schiffe waren noch übrig. Sie hatten mit Enterhaken an der zweiten Trireme der Piraten festgemacht und wehrten die Angreifer ab, die aus allen Richtungen über sie herfielen. Eine der Liburnen war zuvor von drei Schiffen gleichzeitig geentert worden, und die Piraten hatten die Matrosen und Marineinfanteristen rasch überwältigt und niedergemetzelt. Das andere Schiff hatte Feuer gefangen, als die Kohlenbecken, mit denen die Besatzung Brandpfeile angezündet hatte,
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