Die Prophezeiung des Adlers
sich, ob Vitellius ihn wohl nur deshalb für diese Aufgabe ausgewählt hatte, weil er hoffte, dass er nicht zurückkommen würde.
Als die Trireme nur noch hundert Schritt entfernt war, drehte sie in den Wind. Die Riemen verharrten und wurden ordentlich in den Rumpf zurückgezogen. Gleich darauf wurde ein kleines Beiboot über die Seite heruntergelassen und näherte sich, auf den Wellen hüpfend, dem römischen Schiff. Dabei mied es den Schusswinkel des Katapults im Bug. Es verharrte in geringer Entfernung querab der Bireme.
Ein hochgewachsener, schmaler junger Mann, dessen schwarze Locken unter einer phrygischen Mütze hervorlugten, saß auf der hinteren Ruderbank des Beiboots. Er legte die Hand an den Mund und rief in fließendem Griechisch zur Bireme herüber: »Ist der Unterhändler an Bord?«
Cato trat zur Reling und hob die Hand. »Ich bin hier.«
»Hast du das Geld dabei?«
»Ja.«
»Dukommstmit.«DerMannriefseinenRudererneinenBefehlzu,unddasBootschossüberdasWasseraufdieBiremezu.DortergriffeinerderPiratendieBordleiter.
Cato wandte sich an den nächststehenden Marineinfanteristen. »Steig in meine Kajüte hinunter. Dort steht eine Truhe unter meiner Koje. Bring sie her.«
Der Marineinfanterist salutierte und eilte zu der Luke, die zu der kleinen Kajüte im Heck hinunterführte. Cato ergriff die Reling, schwang sich hinüber und suchte mit den Stiefeln Halt auf den Sprossen der Bordleiter.
»Römer!«
Cato blickte sich um und sah, dass der Mann im Ruderboot ihm mit erhobenem Finger drohte. »Kein Schwert!«
Sich mit einer Hand an der Reling festhaltend, zog Cato sein Schwert und warf es aufs Deck der Bireme. Decimus sah ihn besorgt an. »Ob das wohl klug ist?«
»Wer weiß?«, antwortete Cato düster. Dann wurde ihm klar, dass der Trierarch wahrscheinlich noch nervöser war als er selbst. Er zwang sich, Decimus anzulächeln. »Wenn das hier vorbei ist, nehme ich es wieder an mich.«
Er blickte sich um, beobachtete, wie das Boot sich unter ihm hob und senkte, passte den richtigen Augenblick ab und ließ sich schwer nach unten fallen. Das kleine Fahrzeug schwankte hin und her, und einen Moment lang war Cato sicher, es werde umkippen und sie alle ins Meer werfen. In seiner Rüstung würde er wie ein Stein sinken. Doch dann packte der junge Mann im Heck ihn bei der Schulter und gab ihm Halt.
»Setz dich hin, du Dummkopf! Wo ist das Gold?«
»Das kommt.«
Gleich darauf tauchte der Marineinfanterist an der Reling der Bireme auf und ließ die Truhe in einem Netz herab. Der Pirat stand mit der instinktiven Sicherheit eines Mannes auf, der viele Jahre auf See verbracht hat. Er streckte die Arme zur Truhe aus und lenkte sie ins Boot herunter. Dann zerrte er sie aus dem Netz, stellte sie unter die mittlere Ruderbank des Boots und nickte seinen Ruderern zu. Das Boot wendete und kehrte zur Trireme zurück. Das Schaukeln der Bireme war Cato schon schlimm genug vorgekommen, doch jetzt schien das Meer fast auf Höhe seines Gesichts zu sein, und das Boot hüpfte auf den Wellen, dass man Angst bekommen konnte. Als sie bei der Trireme ankamen, ergriff er das Tau, das zu ihm hinuntergelassen wurde, wie eine Rettungsleine und kletterte äußerst würdelos eilig zum breiten Deck hinauf. Die relative Ruhe des Schiffs unter ihm beruhigte ihn dann ein wenig. Er stand auf und streckte den Rücken gerade. Gleich darauf wurde die Truhe nach oben gehievt und zu seinen Füßen abgestellt. Der junge Mann aus dem Boot kletterte hoch und stellte sich neben Cato.
»Willkommen!«, rief eine Stimme vom Heck her, und als Cato sich umdrehte, sah er einen Mann auf sich zukommen. Er war groß, hatte einen mächtigen Brustkasten und die unverkennbaren Gesichtszüge eines Griechen. Ein goldener Ohrring schimmerte auf jeder Seite seines Gesichts, das so schrecklich zernarbt war, dass Cato unwillkürlich hinstarrte. Der Pirat stellte sich lächelnd vor den Centurio und streckte die Hand aus. Cato hatte keineswegs ein herzliches Willkommen erwartet und war einen Augenblick lang überrumpelt. Dann schluckte er, fest entschlossen, sich als wahrer Römer zu geben. Er blickte kühl auf die ausgestreckte Hand und schüttelte den Kopf.
»Zu meinem Bedauern muss ich sagen, dass ich den Befehl habe, nicht mit Piraten zu fraternisieren.«
Der Grieche starrte ihn einen Augenblick überrascht an und brüllte dann vor Lachen. »Noch nie ist mir ein so stures Volk begegnet. Bringt man euch Römern eigentlich keine Manieren bei?«
»Doch, natürlich.
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