Die Prophezeiung von Umbria
Beschwörungsformel in ihrem Kopf ab.
Nur, dass diese Beschwörung nicht wirkte.
Ihr Herz hörte nicht auf zu hämmern. Es war, als würde ein stummer Schrei sie am Atmen hindern. Ihre Wange schmerzte, und ihr Ohr war immer noch taub von dem Schlag.
Männer, welche eine Frau so brutal schlugen und behandelten, als wäre sie eher ein Sack voll Gemüse als ein lebendes Wesen, würden auch nicht zögern, sie zu demütigen und zu missbrauchen – nur um des eigenen Vergnügens willen. So lange, bis sie durch diese Misshandlungen sterben oder sich aus Verzweiflung selbst umbringen würde. Tränen stiegen ihr in die Augen.
Denkt nur weiter so, und Ihr werdet keine Chance in dieser Welt haben.
Sie hörte Raths Stimme so klar, wie sie zuletzt auch Langbards Stimme in der Brandnacht gehört hatte.
Ein leicht verächtlicher Ton schwang mit, der Maura die Zähne zusammenbeißen ließ. Von wegen! Sie würde es Rath Talward zeigen! Nur weil er sie verlassen hatte, würde sie noch lange nicht zu einem heulenden Häufchen Elend werden! Diese Befriedigung würde sie ihm nicht gönnen.
Ach ja, meine Dame? Was werdet Ihr also tun?
Natürlich das, was sie sich von Anfang an vorgenommen hatte. Ihre Kräfte sammeln und auf den Moment warten, in dem ihre Füße und Hände wieder frei wären.
Sie hatte Rath vor den Han errettet, oder nicht? Und als er Langbard erwürgen wollte, hatte sie ihn gestoppt. Als er sie von hinten gepackt hatte, an jenem ersten Morgen, hatte sie sich freigekämpft. Jetzt würde sie es
diesen
Grobianen zeigen, dass sie sich geirrt hatten, wenn sie glaubten, mitten in der Nacht hilflose Frauen belästigen zu können.
Die Nacht war fast zu Ende. Zu ihrer Linken hatte der Himmel sanft in einer Farbe zu glühen begonnen, wie sie die Blütenblätter des Königinnenbalsams besaßen. Also gingen sie nach Süden. Maura war froh darüber. Wenn sie später erst einmal geflüchtet war – der Gedanke an die bevorstehende Flucht tat ihr gut –, musste sie nicht noch einmal zurückgehen, um Prum zu erreichen.
Der Boden, über den sie gingen, sah wie Heide aus, übersät von moosbedeckten Felsbrocken. Hier und da wuchs niedriges Gestrüpp. Es schien bergauf zu gehen.
In dem Augenblick brach Orl das Schweigen und gab ein fragendes Grunzen von sich.
“Is' mir egal”, knurrte Turgen, als hätte er das Grunzen verstanden. “Stell das Weib auf die Füße und lass sie den Rest des Weges laufen. Is' ja nich' mehr weit bis zum Lager.”
Was er dann sagte, ließ Maura das Blut in den Adern gefrieren. “Na, setz sie runter. Ich würde gerne mal 'nen Blick auf sie werfen, jetzt, wo es hell ist.”
Rasch ließ Orl Maura von seinen mächtigen Schultern heruntergleiten.
Das war sie – die Chance zur Flucht. Bevor sie sie in ihr Lager schleppten, wo sie wahrscheinlich von zu vielen Leuten umzingelt wäre, um sie mit einem einzigen Zauber außer Gefecht zu setzen. Oder wo vielleicht jemand die Bedeutung des Schultergurts erkennen und ihn ihr wegnehmen würde.
In den wenigen Sekunden, die Orl brauchte, um sie auf den Boden zu setzen, rasten Mauras Gedanken. Schlaf oder Unsichtbarkeit? Welchen Zauber sollte sie benutzen?
Schlaf, entschied sie. Die Tasche, die das Traumkraut enthielt, konnte sie am leichtesten erreichen. Und anders als die kostbaren Sturmvogelfedern wuchs Traumkraut in den meisten östlichen Wäldern. Es war leicht zu finden für jemanden, der wusste, wonach er suchen musste. Außerdem mussten ihre Entführer nach dem langen Marsch müde sein. Umso anfälliger waren sie für einen Schlafzauber.
Als Orl ihre Arme losließ, griff sie nach dem Schultergurt.
Vergeudet Eure Chance nicht
, hörte sie Rath in Gedanken.
Ihr müsst auf Zeit spielen!
Auch wenn es ihr in den Fingern juckte, nach ihren Entführern zu schlagen, und sie am liebsten sofort weggerannt wäre, kaum dass sie Boden unter den Füßen hatte – ihr Körper würde ihr nicht gehorchen.
“He, Burschen, ich kann's nicht fassen! Wir haben eine Schönheit erwischt.”
Turgens Stimme erklang so dicht neben ihr, dass sie entsetzt zurückfuhr.
Wie gut, dass sie noch nicht nach dem Traumkraut gegriffen hatte. Er hätte es ihr sicher sofort weggenommen. Wenn ich mich jetzt scheu und ängstlich verhalte, überlegte Maura, wird die Wachsamkeit dieser Halunken nachlassen.
Also versuchte sie erst gar nicht, ihr Zittern zu verbergen. Stattdessen zog sie ihren Umhang noch enger um sich, als hätte sie Angst, die Männer könnten sie berühren. In
Weitere Kostenlose Bücher