Die Prüfung: Kriminalroman (German Edition)
und zwei Wochen später … Wenn Schönlieb sich richtig erinnerte, waren das allesamt Tage, an denen Professor Meininger auch die Rose in seinen Kalender eingetragen hatte. Er hatte also recht gehabt.
»Sind in der anderen Textdatei noch mehr Namen?«, fragte er Wohlleben.
»Nee, das ist nur eine Anleitung für die Kamera, mit der die Fotos im Bild-Ordner geschossen wurden«, sagte Wohlleben stolz. »Und dafür, wie man sie umbaut, damit sie möglichst kompakt ist. Gehäuse entfernen und so. Dann noch ein bisschen etwas darüber, wie man das mit der SIM-Karte macht und die Bilder automatisch versendet werden. Ach ja, ganz unten steht, wie man einen sehr leistungsstarken Akku an die Kamera klatscht, damit das Ding auch lange läuft. Kinderkram. Alles supereasy.«
»Aha. Und der Bilder-Ordner?«, fragte Schönlieb.
»Da wird es richtig interessant«, sagte Wohlleben und klickte ein paarmal, bis eine Liste mit unzähligen Bildern auf dem Bildschirm erschien. Die Fotos waren nach Datumsangaben benannt. »Aber nicht schön.«
»Lass mich raten: Die Datumsangaben in den Dateinamen passen zu den Datumsangaben auf der Liste, die wir eben angesehen haben«, sagte Schönlieb und hatte ein mulmiges Gefühl im Bauch.
»Ja. Und es sind über tausend Bilder«, sagte Wohlleben.
»Mehr als tausend? Aber es waren doch nur dreißig Namen auf der Liste!«
»Na, nicht auf jedem der Bilder ist … ach, schau einfach selbst. Ich habe die meisten durchgesehen, willst du gleich die interessantesten?«
Schönlieb nickte, Wohlleben scrollte kurz und klickte eines der Bilder an.
»Ist ein bisschen wie beim Daumenkino. Die Kamera nimmt anscheinend alle dreißig Sekunden ein Bild auf. Und jemand hat immer mal wieder den Bilderbestand aufgeräumt. Seit etwas über einer Woche zeigen die Bilder allerdings kein … brisantes Material mehr.«
»Was meinst du mit brisant ?«
»Moment, das zeigt gleich ganz gut, um was es hier geht.«
Auf dem Bildschirm öffnete sich ein Bild. Meiningers Büro war zu sehen. In der rechten unteren Ecke waren Datum und Uhrzeit notiert. Die Aufnahme war vor fünf Wochen entstanden. Schönlieb erkannte Meininger an seinem Schreibtisch. Wohlleben drückte auf die Pfeil-nach-unten-Taste auf der Tastatur und sprang somit zum nächsten Bild. Er drückte immer wieder auf die Taste, sodass das, was sie auf dem Bildschirm sahen, tatsächlich wie ein Daumenkino mit abgehackten Bewegungen wirkte. Anscheinend kam jemand in Meiningers Büro, denn er blickte auf und gestikulierte zur Tür. Noch konnte man jedoch niemanden erkennen. Derjenige befand sich noch außerhalb des Kamerawinkels. Meininger deutete auf den Stuhl, der vor seinem Schreibtisch stand. Schönlieb wagte es kaum zu atmen.
»Bist du so weit?«, fragte Wohlleben und grinste.
»Ja, verdammt!«, zischte Schönlieb ihn an.
»Na dann: Action.«
Wohlleben tippte weiter, und auf dem Bildschirm erschien eine junge Frau, die Schönlieb noch nie gesehen hatte. Die junge Frau setzte sich auf den Stuhl vor Meiningers Schreibtisch, und die beiden unterhielten sich. Ab und zu schaute Meininger auf ein paar Zettel, die vor ihm lagen. Erst schienen die beiden ein normales Gespräch zu führen, doch dann verzog sich das Gesicht der Frau immer wieder. Die Qualität der Bilder war nicht sehr gut, und da die Kamera nur alle dreißig Sekunden ein Bild aufnahm, musste man sich die Zusammenhänge denken. Aber die Art, wie die junge Frau auf einem der Bilder die Schultern nach hinten zog und Meininger anstarrte, deutete darauf hin, dass die Frau sich empörte und sehr aufgeregt war. Auf dem nächsten Bild war sie aufgesprungen, so ruckartig, dass der Stuhl nach hinten gekippt war. Die junge Frau verschwand wieder aus dem Blickwinkel der Kamera und war nicht mehr zu sehen. Die Bilderserie war zu Ende. Wohlleben stoppte.
»Kapier ich nicht, was das soll«, sagte Schönlieb. »Warum hat Huynh das gespeichert?«
»Wart mal ab. Das war nur der Prolog. Jetzt kommt die nächste Sequenz, ein paar Tage später.«
Wohlleben öffnete das nächste Bild und fing wieder an, ein Bild nach dem anderen aufzurufen. Es glich dem Ersten: Wieder ein Gespräch zwischen Professor Meininger und derselben jungen Frau. Die Schultern der jungen Frau hingen tief. Sie schaute zu Meininger hoch, und Schönlieb war sich sicher, so etwas wie Angst in ihrem Gesicht zu erkennen. Plötzlich erhob sich Meininger, und im nächsten Bild stand er direkt vor ihr, er streichelte ihr mit einer Hand über den
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