Die Prüfung: Kriminalroman (German Edition)
kariertes Hemd über einem schwarzen T-Shirt, das irgendeine Fantasy-Computerspiel-Figur zeigte, und er hatte einen kleinen Bauchansatz, der durch seine halb im Bürostuhl liegende Sitzhaltung besonders gut zur Geltung kam. Seine Haare hatte er nach hinten gegelt – wenn es denn wirklich Haargel war, was Wohllebens Haaren einen so besonderen Glanz verlieh. Schönlieb war sich da nicht sicher.
Schönlieb stand hinter Wohlleben, und sie blickten zusammen auf zwei große Monitore. Schönlieb stand schon seit zehn Minuten hinter dem jungen Techniker, und bisher hatte der ihm lediglich erklärt, wie er es geschafft hatte, anhand der SIM-Karte den Server ausfindig zu machen und diesen zu hacken. Schönlieb hatte kein Wort verstanden und immer nur genickt und »Hm« gemacht. Er gähnte, die Luft im Raum war warm und verbraucht.
»Und deswegen habe ich jetzt Zugriff auf den Online-Speicher, den euer Verdächtiger zum Abspeichern der Bilder verwendet hat«, schloss Wohlleben seine Erklärung ab, während er mit einer unglaublichen Geschwindigkeit auf der grauen Tastatur herumtippte.
»Aha, und können Sie mir sagen, wer es denn nun ist?«, fragte Schönlieb und ärgerte sich, dass das Ganze hier nicht schneller vonstattenging.
»Kannst mich gerne Nico nennen«, sagte Wohlleben und fügte mit einem Lachen, das sehr an Ernie und Bert erinnerte, hinzu, »oder einfach LordOfWar82.«
»Lord of was?«
»Ach nichts«, lachte Wohlleben und guckte kurz zu Schönlieb. »War nur ein Scherz.«
»Aha«, war alles, was Schönlieb dazu sagen konnte und wollte.
»Bist noch gar nicht so alt wie die meisten anderen Typen hier.«
»Ja.«
»Spielst du World of Warcraft?«
»Nein.«
»Gar nicht?«
»Nein. Was ist denn nun mit dem Online-Speicher? Wem gehört der?«
»Also, das war gar nicht so einfach, weißt du? Der Typ war ziemlich geschickt, und ich musste erst mit ein paar Kumpels aus dem …«
»Kannst du mir nicht einfach sagen, wem der Online-Speicher gehört?«, unterbracht Schönlieb ihn gereizt. »Immerhin dürfte der Kerl ein zweifacher Mörder und noch immer auf freiem Fuß sein. Wenn du mir also …«
»Ja. Klar. Huynh Nguyen, Wohnsitz Hamburg.«
»Scheiße«, entfuhr es Schönlieb. Wie passte das nun wieder zusammen? Die Theorie, dass der Besitzer des Online-Speichers der Doppelmörder war, löste sich vor ihm in nichts auf.
»Du kennst ihn?«, fragte Wohlleben vorsichtig.
»Das ist unser erstes Mordopfer.«
»Oh. Das ist wirklich scheiße.«
»Allerdings. Kann ich mir den Online-Speicher mal ansehen?«
»Ja, ja, warte.« Wohlleben tippte wieder wild in die Tasten. »So!«
Auf einem der beiden Bildschirme erschien die Seite des Online-Speicher-Anbieters. Wohlleben gab den Benutzernamen und das Passwort ein. Schönlieb beugte sich über seine Schulter und starrte gebannt auf den Bildschirm. Ein Verzeichnis mit Ordnern und Dateien, die auf der virtuellen Festplatte im Internet gelagert waren, erschien. Es gab zwei Textdateien: OvM.doc und Notizen.doc. Zudem gab es einen Ordner »Bilder«.
»Et voilà«, sagte Wohlleben und streckte beide Arme in Richtung des Bildschirms aus.
»Hast du schon etwas davon angeguckt?«
»Klar!«
»Und?«
»Das hier«, Wohlleben deutete auf die Textdatei mit dem Namen OvM.doc.
»Das ist eine Liste mit einigen Namen und jeweils dazu ein Datum und eine Uhrzeit. Sie korrespondiert mit den Fotos im Bilder-Ordner. Der alte Sack war ganz schön aktiv für sein Alter.«
»Was?«
»Wirst gleich sehen. Vielleicht fangen wir wirklich mit der Liste an …«
»Na, dann mach mal auf«, bat Schönlieb ungeduldig, und Wohlleben klickte auf die Textdatei.
Die Datei öffnete sich, und es erschien eine lange Liste, die zwei Spalten hatte. In der linken Spalte standen jeweils ein Datum und eine Uhrzeit, die rechte Spalte enthielt Namen. An einigen Stellen waren anstelle der Namen Fragezeichen zu sehen. Manche Spalten waren komplett leer. Schönlieb überflog die Namen.
»Das sind ausschließlich Frauennamen«, stellte er fest.
»Ja. Knapp über dreißig Einträge, wobei sich die Namen fast alle häufiger wiederholen«, erklärte Wohlleben.
Schönlieb las weiter. Plötzlich stockte er. Anna Lindner.
»Such das Dokument mal nach Anna Lindner ab«, bat er Wohlleben, der sofort wieder in die Tastatur hackte. Sie sprangen von einem Anna-Lindner-Eintrag zu nächsten. Der 26. Oktober war dabei – an dem war das Foto geschossen worden, das der E-Mail beigelegt war. Dann zwei Wochen später,
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