Die Prüfung: Kriminalroman (German Edition)
schon immer gefragt habe?«
Schönlieb sah ihn an und nuschelte nur »Mmh«, er konnte sich nicht vorstellen, dass sich Mitch überhaupt tief gehende Gedanken machte.
»Hattest du eigentlich schon mal Sex?« Mitch schaute Schönlieb an, und nichts in seinem Tonfall oder seinem Gesicht verriet Ironie oder Sarkasmus. Er schien die Frage sehr ernst zu meinem. Schönlieb verschluckte sich fast an seinem Bier.
»Was?«
Mitch ließ sich neben Schönlieb auf das Sofa fallen.
»Digger, ich frage mich wirklich, ob du schon mal Sex gehabt hast. Du wirkst manchmal so …«
»So was?«
»So … Wie soll man das sagen … verkrampft.« Schönlieb spürte, dass er anfing zu schwitzen. Wann hatte ihm das letzte Mal jemand so eine intime Frage gestellt? Er konnte sich nicht daran erinnern. Und die Frage war doch ziemlich intim, oder? Oder war er nur ein spießiger, verbohrter Typ? Klar, unter Freunden, da sprach man vielleicht über so etwas, aber Mitch war doch nicht sein Freund, oder doch? Wenn Mitch nicht sein Freund war, hatte er dann überhaupt einen Freund?
»Also …«, stammelte Schönlieb. »Ja, ich hatte schon mal Sex. Natürlich!« Dreimal hatte er bisher Sex gehabt. Mit drei verschiedenen Frauen. Das Problem war, dass er sich an keines der drei Male richtig erinnerte. Er war jedes Mal betrunken gewesen, und am nächsten Morgen hatte er so einen Kater gehabt, dass er sich nur lückenhaft hatte erinnern können. Wenn er wirklich ehrlich zu Mitch und sich gewesen wäre, hätte er sagen müssen, dass er noch keinen richtigen Sex gehabt hatte. Er wusste nicht, wie Sex mit klarem Bewusstsein war, sondern hatte nur diffuse Vorstellungen und Bilder von nackten Frauen und wie es sich ungefähr anfühlte, in sie einzudringen.
Die Bilder schossen durch seinen Kopf. Manchmal, wenn er alleine im Bett lag, versuchte er sich daran zu erinnern. Vor allem an das eine Mal. Als er neben Nadine aufgewacht war. Er hatte sein Glück kaum fassen können. Vier Jahre hatte er sie fast täglich in der Schule gesehen und angehimmelt, doch sie schien so weit weg. Eine Menge Jungs hatten sich um sie bemüht. Sie war die, die alle wollten. Doch keinen ließ sie richtig an sich heran. Es hieß immer, sie habe einen älteren Freund, doch so wirklich zu wissen schien das niemand, und Schönlieb wäre der Letzte gewesen, der sich getraut hätte, sie direkt zu fragen. Überhaupt hatte er nie viel mit ihr geredet, obwohl sie in der gleichen Jahrgangsstufe gewesen waren. Dafür war er viel zu schüchtern gewesen. Doch dann war das Abschlussfest gewesen, nach der dreizehnten Klasse. Alle hatten sich Anzüge und schöne Kleider angezogen, und am nächsten Morgen war er in seinem Bett aufgewacht, und neben ihm hatte Nadine gelegen. Er konnte sich noch immer nicht erklären, wie es dazu gekommen war. Das Letzte, woran er sich erinnern konnte, was den Abend der Abschlussfeier betraf, war seine eigene miese Stimmung gewesen. Als er oben auf der Bühne gestanden hatte, in der Aula der Schule, und darauf gewartet hatte, sein Zeugnis entgegenzunehmen, da hatte er plötzlich diesen Druck im Magen gespürt. Es war ihm vorgekommen, wie wenn sich etwas von innen gegen seine Magenwand stemmte. Immer heftiger. Eigentlich hatte er sich auf diesen Abend gefreut. Dieser Abend war sein Ziel gewesen, das Ende, das es zu erreichen galt. Nie wieder würde er sie alle wiedersehen müssen, Christian Spitz und die anderen. Nie wieder. Diese Gewissheit hatte ihn in den letzten beiden Schuljahren gerettet. Doch plötzlich war er traurig gewesen, nicht traurig, dass er die anderen nicht mehr sehen würde, na ja, bis auf Nadine, es hatte ihn vielmehr traurig gemacht, in ihren Gesichtern diese Freude zu sehen, diese Erwartungen an das Leben. Bereit, die Welt zu erobern, voller Träume und voll Hoffnung, diese Träume zu erreichen.
Mitch klapste ihm auf die Schulter und sprang auf.
»Na, dann ist ja gut. War auch nicht böse gemeint. Ich hole uns noch ein Bier.«
Schönlieb schaute Mitch hinterher, der in die Küche ging. Und jetzt? War es das? War das jetzt ein intimes Gespräch unter Freunden, oder was? Auf so etwas konnte er auch verzichten.
Nadine hatte sich bemüht, es zu verbergen, doch er hatte ihr angemerkt, wie erschrocken sie gewesen war und wie peinlich es ihr war. Immer wieder hatte sie leicht mit dem Kopf geschüttelt, und dann der Blick, mit dem sie ihn angeguckt hatte. Als wäre er das Schlimmste, was ihr hatte passieren können. Sie war gegangen, und
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