Die Prüfung: Kriminalroman (German Edition)
Facebook herausgesucht hatte, nicht vergessen.
Marie nickte. »Die ganze Clique! Alles reiche Schnösel, eingebildet bis in die Haarspitzen, aber Huynh wollte irgendwie dazugehören. Das habe ich nie verstanden.«
Schönlieb versicherte ihr, dass er alle vier befragen werde, und wollte sich gerade verabschieden, als ihm eine weitere Frage einfiel.
»Warum waren Sie eigentlich die letzten beiden Tage nicht in der Uni?« Er sagte das, so nett er konnte, auf keinen Fall wollte er, dass sie in dieser Situation dachte, dass sie zu den Verdächtigen gehörte.
Marie schaute ihn von der Treppe aus an.
»Ich dachte … Er hatte sich doch nicht gemeldet … Ich dachte, das war seine Art, Schluss zu machen. Ich wollte ihn nicht treffen. Im Nachhinein ist es absurd.«
»Hätte es denn einen Grund gegeben, Ihre Beziehung zu beenden?«
Marie schüttelte den Kopf und fing an zu weinen.
»Nein«, rief sie undeutlich und verschwand in ihrem Zimmer.
Unten im Flur blieb Schönlieb kurz stehen und horchte in das Haus hinein, doch vom Vater war nichts mehr zu hören, und so trat Schönlieb in den dunklen Abend hinaus.
Als er endlich das Grundstück und die hohe Hecke hinter sich gelassen hatte, atmete er tief durch.
Kapitel 13
Schönlieb saß in der S-Bahn und hatte den Kopf gegen die Scheibe gelehnt. Auf der anderen Seite der Scheibe rasten die Tunnelwände vorbei.
Er wusste nicht, wieso, aber S-Bahn-Fahren versetzte ihn häufig in eine melancholische Stimmung. Vielleicht lag es am Licht? An den ganzen unbekannten Gesichtern, die ausdruckslos ins Nichts starrten? Er dachte daran, wie es wäre, die Gedanken anderer Menschen hören zu können. Jetzt würde er reihum heimlich in ihre Köpfe schlüpfen, die Welt aus ihren Augen sehen. Es gäbe sicherlich die eine oder andere Überraschung.
Müde blickte er sich in dem Waggon um. Es war seltsam still. Normalerweise sprach immer einer laut in sein Handy, oder mehrere Leute unterhielten sich, doch in diesem Waggon war es still. Das hatte etwas Beklemmendes.
Die Bahn bremste ab, und Gestalten auf einem hell erleuchteten Bahnsteig wurden sichtbar. Manche stiegen aus, manche ein. Da fiel Schönlieb eine junge Frau auf, die durch die Tür der S-Bahn trat und sich zwei Sitzgruppen weiter vor ihm auf den Sitz fallen ließ. Die Enden ihrer dunklen Haare kamen unter einer türkisen Wollmütze hervor. Über der Mütze trug sie Kopfhörer, und ihr Kopf wippte leicht zur Musik. Ihre großen braunen Augen schauten aufmerksam aus dem Fenster. Ihre Pupillen bewegten sich beim Fixieren der vorbeirauschenden Gebäude schnell hin und her. Schönlieb konnte den Blick nicht von ihr wenden. Immer wieder schaute er zu ihr oder so in das Fenster der S-Bahn, dass er ihr Spiegelbild beobachten konnte. Sie hatte rote Wangen von der Kälte draußen. Schönlieb hätte gerne mehr über sie gewusst. Wie alt mochte sie sein? Er schätzte sie auf zwischen zwanzig und fünfundzwanzig. Wohin sie wohl fuhr, und woher sie kam? Er spürte ein inneres Bedürfnis, alles über sie zu erfahren.
Als die Station Landungsbrücken kam, blieb er sitzen, einfach so. Eigentlich hatte er dort umsteigen wollen. Es war keine bewusste Entscheidung, er hatte nicht darüber nachgedacht, ob er aussteigen sollte. Stattdessen fuhr er weiter und schaute über die Scheibe die junge Frau an. Einmal hatte er das Gefühl, sie sah ihm durch das Fenster direkt in die Augen, schnell hatte er den Blick von ihr abgewandt und irgendwo ins Nichts des S-Bahn-Waggons geblickt.
Die S-Bahn fuhr in die Station Jungfernstieg ein. Da erhob sich die Frau und stellte sich zum Aussteigen bereit an die Tür. Schnell stand Schönlieb ebenfalls auf, ging aber zum zweiten Ausgang des Waggons. Er wollte es vermeiden, ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Vielleicht hatte sie bereits bemerkt, dass er sie die ganze Zeit angestarrt hatte. Fand sie ihn vielleicht unheimlich? Sie stiegen aus. In einem sicheren Abstand, immer darauf achtend, dass einige Leute zwischen ihnen waren, folgte Schönlieb der Frau. Sie lief quer über den Bahnsteig, nahm eine Rolltreppe und ging in Richtung des Ausgangs Ballindamm, bog jedoch an der nächsten Ecke scharf nach links und stieg die Treppe hinunter zu einem weiteren Bahnsteig. Dort wartete sie auf die Bahn der Linie U2, die in Richtung Niendorf Nord fuhr. Schönlieb behielt sie im Blick und postierte sich hinter einem Zeitungsständer des Kioskes. Als sie die U-Bahn betraten, nahm er einen Waggon weiter hinten und setzte sich
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