Die Prüfung: Kriminalroman (German Edition)
selbst, ging zu den großen, fast bis zum Boden reichenden Fenstern, vor denen sie standen, drückte seine Hände und seine Nase dagegen und blickte ins Nachtlager hinein.
»Tatsächlich, Digger, keiner drin.« Kurz blickte er Schönlieb ratlos an, als könne er nicht glauben, dass ein Laden auf dem Kiez auch mal geschlossen hatte. Dann formte sich aus dem ratlosen Ausdruck ein breites Grinsen
»Na dann, ab in die Barbarabar. «
Schnell überquerten sie die Straße und traten durch die Tür der Barbarabar . Wärme schlug ihnen entgegen. Die Bar war für einen Schlechtwetter-Dienstag erstaunlich voll. Es wurde jedoch nicht getanzt. Die Leute saßen ruhig in den Ecken und nippten an ihren Getränken. Da fiel Schönlieb auf, dass keine Musik durch die Lautsprecher dröhnte, sondern eine bekannte Stimme. Er brauchte ein paar Sekunden, bis er die Stimme zuordnen konnte. Das war Justus Jonas von den Drei Fragezeichen . Für einen kurzen Moment war er wieder zehn, lag mit dem Bauch auf seinem Bett und blickte auf den großen dunklen Kassettenrekorder, durch dessen kleines Fenster man sehen konnte, wie sich das schwarze Band auf der linken Seite gleichmäßig abrollte, um auf der rechten Seite wieder aufgerollt zu werden.
»Digger, was ist denn hier los? Lass uns wieder gehen.« Mitch tippte ihn an.
»Du warst dir doch so sicher, dass es hier passiert ist«, zischte Schönlieb Mitch an und ging auf den Bartresen zu.
Er setzte sich auf einen der Hocker und lauschte dem Hörspiel, doch Mitch ließ nicht locker. In ihm schien weder Nostalgie noch Wohlbefinden aufzukommen. Vielmehr fühlte er sich sichtbar unwohl. Als Schönlieb für jeden ein Astra bestellen wollte, hielt Mitch ihn ab und drängte ihn, dem Barkeeper direkt die Fotos zu zeigen. Dr. Watson hatte sich getäuscht. Zumindest konnte sich der junge Mann hinter dem Tresen an keinen der beiden Jungs auf den Fotos erinnern.
Plötzlich, wie aus dem Nichts, stand eine kräftige, große Frau vor Schönlieb und Mitch. Sie musste sich in einer dunklen Ecke versteckt und dann heimlich angeschlichen haben, denn weder hatte Schönlieb sie vorher gesehen, noch hatte er gehört, wie sie auf sie zugekommen war. Als Schönlieb realisiert hatte, was passiert war, hatte Mitch schon eine Backpfeife kassiert und anschließend den Inhalt eines Colaglases ins Gesicht bekommen. Auf dem Kragen seiner Jacke blieb eine halbe Zitronenscheibe liegen. Die Frau verschwand ebenso mysteriös, wie sie erschienen war. Sie hinterließ einen verdutzten Schönlieb und einen nassen, rotwangigen Mitch. Es dauerte gefühlte fünf Minuten, bis einer der beiden seine Sprache wiedergefunden hatte. Ungewöhnlicherweise war Schönlieb der Erste.
»Was war das?«
»Ich glaube, das nennt man Kollateralschaden.« Mitch zog eine Packung Taschentücher aus seiner Jacke und begann, sich trocken zu tupfen.
»Ich hatte gehofft, sie erkennt mich nicht wieder. Ist immerhin schon ein paar Monate her, und meine Haare waren etwas länger.«
Plötzlich musste Schönlieb laut loslachen. Das war einfach zu viel: ein durchnässter Mitch, die Zitronenscheibe auf dem Jackenkragen, diese mysteriöse Frau und im Hintergrund Justus Jonas, der gerade in seiner herrlich besserwisserischen Art einen Fall löste. Schönlieb verspürte eine ausgelassene Freude, wie er sie lange nicht gehabt hatte.
Mitch schaute ihn böse an, doch das brachte Schönlieb umso mehr zum Lachen. Mitch zerrte Schönlieb vom Barhocker und schob ihn vor die Tür.
»Ist ja gut, Digger. So lustig ist es auch nicht! Wusste gar nicht, dass du so auf Schadenfreude stehst!«
Schönlieb rang in den kurzen Lachpausen nach Luft.
»Schade …«, keuchte er, »… dass sie nicht noch geblieben ist.« Er lachte wieder. »Ich hätte sie gern auf ’ne neue Cola eingeladen.« Er zeigte auf Mitch. »Dein Gesicht danach!« Wieder lachte er laut los.
Es dauerte eine Weile, bis sich Schönlieb wieder beruhigt hatte. Sie saßen beide vor der Barbarabar auf der Motorhaube eines geparkten Autos, und Schönlieb konnte langsam wieder normal atmen.
»Hast du dich beruhigt, Digger?«
»Ich denke schon.«
»Dann können wir ja weitermachen. Schließlich sind wir hier, weil wir etwas herausfinden wollen.« Mitch stand auf, drehte sich zu Schönlieb und tippte ihm mit dem Zeigefinger kräftig auf die Brust. »Nicht wahr, Sherlock?«
Schönlieb konnte es sich verkneifen, erneut loszulachen. Dass Mitch jetzt auf seine Polizeiarbeit bedacht war, ließ ihn dennoch breit
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