Die Prüfung: Kriminalroman (German Edition)
Anstrengung als Entspannung gewesen. Er fühlte sich wohler, wenn er jemanden dabeihatte, und genau deshalb hatte er Mitch gefragt, ob er ihn begleiten wollte. Und Mitch war keiner, der Nein sagte. Egal, welcher Wochentag war.
Erst war er überrascht gewesen, dann hatte er sich gefreut. »Digger! Wir beide auf dem Kiez! Was geht! Das wird lustig.« Schönlieb hatte schnell hinterhergeschoben, dass der Besuch jedoch auch beruflicher Natur war und er in ein paar Bars Nachforschungen anstellen musste, doch da war Mitch schon in seiner Küche verschwunden und kurze Zeit später mit zwei Bierflaschen in der Hand wieder aufgetaucht. Bevor sie aufbrechen würden, gab es nämlich noch etwas zu erledigen. Sie saßen im Wohnzimmer von Mitch an dem niedrigen Glastisch, der vor dem großen schwarzen Ledersofa stand. Mitch rollte gerade einen Zwanzigeuroschein und zog sich anschließend die Hälfte der beiden zermalmten Ritalintabletten in die Nase. Kurz legte er den Kopf in den Nacken, dann schaute er Schönlieb an und lachte.
»Ich ziehe mir was in die Nase, direkt vor einem Bullen, o Mann!« Ja, das war eigentlich ein Problem, am besten dachte Schönlieb nicht weiter darüber nach.
»Merkst du schon was?«
»Quatsch, ein bisschen dauert das, prickelt ein bisschen, das war’s. Aber ganz ehrlich, Digger: Das ist eine kleine Tablette. Da haut mich ja das eine Bier mehr um. Eine Dosis Kokain ist bestimmt fünfmal so viel.« Mitch lachte wieder, er hielt Schönlieb den Zwanzigeuroschein hin. »Jetzt du!«
Irgendwie war diese Situation ganz anders verlaufen, als Schönlieb das geplant hatte. Aber was hatte er auch erwartet, als er Mitch gefragt hatte? Schönlieb starrte auf das Pulver. Etwa eine Tablette, Mitch hatte recht, das war nicht viel. Die Neugier war von Anfang an da gewesen, als er die Tabletten zum ersten Mal in der Hand gehabt hatte. Er hatte sich vorgestellt, wie es wohl wäre, sie zu schlucken. Brachte sie wirklich einen positiven Effekt? Doch schlucken würde er die Tablette jetzt nicht mehr können, nicht so, wie es vermutlich Huynh getan hatte. Das Einzige, was ihm blieb, war dieser Test, und es war ja nur eine Tablette. Schönlieb nahm den Geldschein, rollte ihn noch einmal neu zusammen und beugte sich über das Pulver. Dann hielt er den Geldschein an die Nase, hielt sich das eine Nasenloch zu und sog kräftig mit dem anderen das Pulver hinein. Es kitzelte in der Nase, das Pulver rauschte ihm durch die Nasenhöhlen, kurz bekam er keine Luft. Er begann zu husten, und Tränen schossen ihm in die Augen. Das restliche Pulver auf dem Tisch pustete er mit seinem Husten in alle Richtungen. Mitch krümmte sich vor Lachen auf dem Ledersofa. Auch er hatte Tränen in den Augen, als er sich wieder aufsetzte.
»Wenn das jetzt guter Stoff gewesen wäre, hättest du eben ungefähr … fünf Euro in meinem Wohnzimmer verteilt.« Er überlegte kurz. »Wäre also gar nicht so schlimm.«
Dann stand er auf und holte für jeden ein weiteres Bier aus der Küche. Schönlieb saß auf dem Sofa und hatte sich wieder beruhigt. Jetzt saß er ganz still und versuchte, möglichst ruhig und gleichmäßig zu atmen. Er horchte in seinen Körper hinein. Tat sich schon etwas? Schönlieb hatte bisher keine nennenswerten Drogenerfahrungen. Ein Mal hatte er auf einer Party eines Kommilitonen der Polizeihochschule an einem Joint gezogen, jedoch keine Wirkung gespürt. Danach war er nicht lockerer oder entspannter gewesen. Im Gegenteil, angespannt hatte er in einer Ecke gestanden und an seinem Bier genippt. Schnell war er wieder gegangen.
Jetzt kam er sich vor wie ein Wissenschaftler, und sein Körper war das Versuchsobjekt. Wahrscheinlich würde er wieder nichts merken. Fünfmal so viel sei eine Dosis Kokain, hatte Mitch gesagt, und Schönlieb glaubte ihm. Gut möglich also, dass er hier so lange sitzen konnte, wie er wollte, er würde keine Veränderung bemerken. Experiment gescheitert. Wie oft stopften sich wohl richtige Wissenschaftler ihre eigenen Substanzen hinein, um deren Wirkung zu erforschen, oder gab es so etwas nur im Film? Schönlieb stellte sich vor, wie auf einmal seine Kleidung platzte, er größer wurde und plötzlich als grünes Monster in Mitchs Wohnzimmer stand. Der würde Augen machen, wenn der nette, stille Nachbar von nebenan plötzlich laut grunzend seine Einrichtung zerlegte.
»Hier.« Mitch drückte Schönlieb die kalte Bierflasche in die Hand. Schönlieb erschreckte kurz. »Sag mal, Christoph, weißt du, was ich mich
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