Die Psychonauten
einer Einheit werden ließ, so daß für uns kaum erkennbar war, wo der Himmel begann und der See endete.
Dafür sahen wir die Lichter. Sie schimmerten an den Ufern, den Buchten und auf dem See.
Manchmal glockenartig, dann wieder verteilt, so daß sie regelrechte Kunstwerke bildeten.
Es war ein wunderschönes Panorama, für das weder Suko noch ich einen Blick hatten, denn Claudia Demmi interessierte uns viel mehr. Sie war herbeigeeilt, hatte sich mit uns bekanntgemacht und war sofort auf dem Rücksitz des Wagens verschwunden. Sogar dort duckte sie sich.
Über Umwege hatte sie uns zum See geführt, bis zu einem kleinen Parkplatz, wo wir den Wagen verließen.
Auch jetzt schaute sie sich ängstlich um, vermutete in jedem der abgestellten Fahrzeuge einen Feind. Selbst ich konnte sie nicht beruhigen.
Sie war ein relativ hübsches Mädchen. Vielleicht ein wenig zu klein geraten, mit braunen Haaren, auf deren Oberfläche ein runder Kranz lag, den sie geflochten hatte.
Das Idealgewicht besaß sie nicht, was auch nicht tragisch war, denn wer mochte schon die knochigen Mannequins. Claudia hatte sich nicht fein angezogen, eher bäuerlich. Sie trug einen derben Jeansrock, dazu eine Bluse in einem helleren Blau und eine Strickjacke, die in Höhe der Taille leicht angeschnitten war.
Vom See her wehte ein kühlerer Wind, und Claudia zog die Jacke enger um ihren Körper.
»So, Claudia, wir überlassen es Ihnen, wo wir hingehen«, sagte ich.
»Wollen Sie hierbleiben?«
»Nein, auf keinen Fall.« Sie deutete nach vorn, wo die Uferpromenade weiterführte, aber längst nicht mondän oder elegant war. Hier herrschte noch die Urwüchsigkeit vor. Es leuchteten auch nur wenige Laternen. Wir nahmen das Mädchen in die Mitte. Auf den ersten Metern sprach niemand von uns. Claudia hielt den Kopf zumeist gesenkt, als wollte sie etwas suchen.
»Wie geht es Fatima denn? Hat sie es geschafft?«
»Was meinen Sie?«
»Sie wollte unbedingt nach London, weil sie es hier nicht mehr aushalten konnte.«
»Ja«, bestätigte ich, »sie ist in London eingetroffen.«
»Haben Sie mit ihr gesprochen?«
»Mit dem Vater.«
Claudia blieb stehen. »Weshalb nicht mit ihr?«
»Das ging leider nicht.«
Ich hatte bewußt nicht die volle und grausame Wahrheit gesagt, aber Claudia verstand auch so. Sie preßte beide Hände gegen die Wangen.
»Dann hat man sie erwischt.«
»Wer sollte…?«
»Bitte.« Sie schaute uns abwechselnd an. »Lassen Sie mich gehen! Ich habe nicht gewußt, daß es schon so weit fortgeschritten ist. Hätte ich davon erfahren, wäre ich nie…«
Ich legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Bitte, Claudia, beruhigen Sie sich.«
»Nein, Sie wissen ja nicht…«
»Wir wissen einiges«, erklärte Suko. »Oder glauben Sie, daß uns die Psychonauten unbekannt sind?«
Dieser Schuß ins Blaue hatte gesessen. Claudias Gesichtszüge wurden zur Maske. »Das kann nicht sein«, hauchte sie. »Meine Güte, das ist… wieso wissen Sie Bescheid? Gehören Sie auch zu denen?«
»Wir sind Engländer«, sagte Suko. »Auch wenn es bei mir nicht so aussieht. Zudem noch Polizisten.«
»Na und?«
»Was meinen Sie damit?«
»Ob Polizist oder nicht. Die sind stärker, die sind mächtiger. Sie haben ein immenses Wissen. Ich weiß das.«
»Von Fatima?«
Claudia nickte heftig. »Natürlich. Fatima war für sie das Opfer. Sie wurde gebraucht.« Das Mädchen blickte über den See. »Sie hatte schreckliche Angst. Die Vergangenheit holte sie ein.«
»Welche denn?«
Claudia hob die Schultern. »Die Vergangenheit ihres Landes, wie sie sagte.«
»Damit hatte doch sie nichts zu tun.«
Claudia nickte heftig in meine Richtung. »Und ob sie etwas damit zu tun gehabt hat.«
»Was bitte?«
»Das weiß ich auch nicht. Sie hat nie mit mir darüber geredet. Sie fand es besser, wenn ich nichts wußte.«
»Wie sah es denn mit Andeutungen aus?« erkundigte sich Suko.
»Nein, gar nichts.«
Die Antwort kam uns beiden zu schnell. Suko lächelte. »Weshalb lügen Sie, Claudia?«
»Wieso? Ich…«
»Sie und Fatima sind Freundinnen.«
»Wer hat das gesagt?« Sie ging sofort auf Abwehr.
»Ihr Vater.«
Da senkte sie den Blick und hob gleichzeitig die Schultern. »Ja, wir sind Freundinnen.«
»Gut — und Freundinnen vertrauen sich oft gegenseitig etwas an.«
Heftig drehte sie sich um. »Lassen Sie mich doch in Ruhe! Hätte ich geahnt, daß Sie mir mit diesen Dingen kommen würden, hätte ich mich niemals mit Ihnen getroffen.« Ich zog sie wieder herum.
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