Die Pubertistin - eine Herausforderung
dass dort alles nur knorke ist. Vorsorglich lässt sie uns im Unklaren darüber, was genau sie dort erlebt. Auf Nachfrage erwähnt sie die geheimnisvolle Elektra und auch Yasmin, außerdem irgendwelche Jessicas, Jakobs oder Cosimas, mit denen sie ihre Tage in der hässlichsten Mall der Hauptstadt verbringt. Diese befreundeten Metropolenkinder haben ja sämtlich absolut lockere Eltern, die nie fragen, wann ihre Töchter und Söhne nach Hause zukommen belieben oder wo sie sich aufhalten und mit wem. Cosimas geschiedener Vater zahlt – angeblich! – monatlich 200 Euro Taschengeld, was seine Tochter veranlasst haben soll, der Mutter zum Geburtstag eine Couch zu schenken.
Eine Couch? Ja, das ist offenbar das Niveau, auf dem sich großstädtische Eltern-Kind-Beziehungen bewegen. Da können wir mit unserem Häuschen am Waldrand natürlich nicht mithalten. Auf unser Drängen hin, die Pubertistin möge bitte endlich einmal wenigstens Elektra und Yasmin zu uns mitbringen, ernten wir nur Wehklagen. Was soll ich mit denen denn hier machen? Hier ist doch absolut nichts los!, jault das Kind. Wir gehen in uns. Es ärgert uns zwar, wie peinlich der Pubertistin das Kleinstadtleben offenbar ist, andererseits müssen wir ihr leider recht geben. Genau dies Immergleiche, Vorhersehbare hat uns selbst einst bewogen, sofort nach unserem Schulabschluss fluchtartig vom Vorort unserer Eltern in die wilde Großstadt zu ziehen. Lieber eine eiskalte Einraumwohnung mit Außenklo im Ausgehbezirk als weiter diese erdrückenden, zentralgeheizten, ganz und gar ungefährlichen Verhältnisse in der Provinz. So haben wir es gehalten. Es waren coole Jahre in derStadt. Dann kamen die Kinder. Wir schleusten sie so lange zwischen Hundekackehaufen zur Kita, zerrten sie immer wieder in lebensrettender Absicht von Straßen und Fahrradwegen, bis wir uns der guten alten Zeiten entsannen: unserer eigenen kleinstädtischen Biografien. Wir suchten und fanden das Häuschen am Ende der verkehrsberuhigten Sackgasse und verschleppten die Kinder in diese Idylle. Na vielen Dank!, mault die Pubertistin.
Dennoch geschieht am nächsten Wochenende nichts weniger als ein Wunder. Die Pubertistin eröffnet uns, dass sie heute Besuch aus der Stadt erwarte: Elektra und Yasmin seien bereit, ihre hauptstädtischen Körper in unsere Einöde zu bewegen, sie würden hier auch übernachten. Toll, sagen wir. Die zwei sind seit einem Dreivierteljahr mit unserer Tochter befreundet, und nun lernen wir sie auch endlich mal kennen. Ein bisschen fühle ich mich wie eine Schwiegermutter, die bislang dem Auserwählten nicht zuzumuten war, nun aber wegen guter Führung doch mal Pfötchen geben darf.
Angekündigt haben die beiden Girls sich für fünf Uhr, gegen sieben stehen sie dann am Zaun. Eineweißblond, die andere pechschwarz gefärbt, stehen sie unschlüssig zwischen den Krokussen im Vorgarten herum. Elektra, die Blonde, behält auch zu dieser späten Stunde ihre tellergroße Sonnenbrille auf. Ob Yasmin meinen entbotenen Willkommensgruß hört, weiß ich nicht genau, sie hat Musikstöpsel im Ohr. Schnell zieht die Pubertistin ihre ansonsten harmlos wirkenden Freundinnen in ihr Zimmer, von dort höre ich es gackern und schnattern. Schön, wenn sie jemanden zum Reden hat.
Nur 25 Minuten später öffnet sich erneut die Tür. Unsere beiden Hauptstädterinnen brechen auf. Offenbar warten unaufschiebbare Obliegenheiten auf sie. Auch die Pubertistin steht ausgehfertig im Flur. Das Blondhaar hübsch gelegt, die Augen stark geschminkt, ist sie bereit für neue Abenteuer. Ich dachte, ihr übernachtet hier, sage ich. Hier ist doch absolut nichts los!, murrt die Pubertistin. Was solls, ich lasse sie ziehen. Sie hat ja recht, und ich weiß: Nur noch ein paar Jahre, dann sucht sie sich ein schönes fußbodenkaltes WG-Zimmer im hauptstädtischen Ausgehbezirk. Und das geht dann auch völlig in Ordnung. Bis die Kinder kommen.
Anders ist jedenfalls nicht zu erklären, warum bei unserer Rückkehr von einer Wochenendreise das Haus aussieht wie ein Schlachtfeld. Vor der Haustür finden der Vater und ich einen Haufen farbenprächtiger Schuhe, das müssen die Fußkleider der Eroberer sein. Über den Flur verteilt liegen Klamotten sonder Zahl, und in der Küche stapeln sich Teller, Schalen und Pfannen, für Wegzehrung wurde offenbar gesorgt. Die Krieger selbst sind nicht zu sehen. Aber zu hören. Als wir die Zimmertür der Pubertistin öffnen, bietet sich uns ein Schlachtengemälde. Zwölf
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