Die Pubertistin - eine Herausforderung
junge Menschen, hoffnungsvolle Mitglieder dieser Gesellschaft, haben sich im Raum verschanzt und erholen sich bei menschenverachtender Musik von den Strapazen des Wochenendes. Nie hätte ich gedacht, dass ich derart humorlos auf diesen Überfall reagieren würde. Ich gucke so genervt und unfreundlich, dass sich die Krieger und ihre Gastgeberin binnen Minuten in eingeschüchterte Kleinstadtjugendliche und unsere altbekannte Pubertistin zurückverwandeln. Eine weitere Viertelstunde darauf sind sie alle in ihre generationstypische Kleidung geschlüpft und flüchten dahin, wo sie meiner Meinung an einem Sonntagabend auch hingehören: zu ihren Eltern.
Dass ich es einmal fertigbringen würde, die Freunde der Pubertistin nur mit der Kraft meiner Blicke zu vertreiben, hätte ich mir selbst nicht zugetraut. Es ist nämlich so, dass ich immer das führen wollte, was man ein offenes Haus nennt. Kaum war das erste Kind im Kitaalter, befand sich unsere Familie in einem permanenten sozialen und kommunikativen Außenkontakt. Jeden Nachmittag saß mindestens ein befreundetes Kind bei uns mit am Tisch, dessen Eltern sich im Laufe des weiteren Abends hinzugesellten. Wir aßen gemeinsam, wussten alles über die Familie des anderen, und wenn es die Situation gebot, schmiedeten wir ein hübsches Küchentischkomplott gegen eine unliebsame Erzieherin. Als dann die Pubertistin geboren war, potenzierte sich die Zahl der Besucher zu unserer Freude.
So ging es all die Jahre. Nachdem wir in unsere Kleinstadt gezogen waren, er weiterten wir dieses Programm um Heimfahrten. Die Freunde der Kinder wohnten jetzt schon mal zehn Kilometer über Land, und wer waren wir, den zart geknüpften Kinderfreundschaften im Wege zu stehen? Auf diese Weise lernte ich auch die interessantesten Lebensformen im suburbanen Raum kennen: Gartenlauben,in denen neun Menschen und vier Rottweiler wohnten; piekfeine Anwesen im maurischen Stil, wo das Personal den Türsummer betätigte; Einzimmerplattenbauwohnungen, in denen ich das Gastkind seinem geschiedenen Vater aushändigte. Kurzum, es war interessant und lehrreich und wir immer bereit für neue Freunde der Kinder.
Jahre ging das so, und aus den Grundschülerinnen wurden Gymnasiastinnen. Ihre alten Freundinnen blieben aus, statt ihrer kamen neue in unser Haus: Pubertisten beiderlei Geschlechts. Ihre Eltern, mit denen wir uns hätten anfreunden können, hatten die natürlich nicht dabei. Aber es hatte sich offenbar herumgesprochen, dass man in unserem Haus am Ende der Sackgasse prima chillen kann, dass immer ausreichend Pizza im Kühlfach liegt, dass die Eltern der Gastgeberin zeitraubende Jobs haben, die spätes Erscheinen garantieren. Ideale Voraussetzungen dafür, sich lieber bei uns als im Stadtpark zusammenzufinden.
Ich fand das gut. Als ich selbst im Pubertistinnenalter war, war es eher problematisch, Freunde in mein Elternhaus mitzubringen. Ich weiß nicht, woran eslag, vor allem meine Mutter fand es störend, wenn da Leute durchs Haus tapsten, die sie nicht kannte. Sie war in dieser Hinsicht unverhofft spießig. Weil mich das damals immer genervt hat, wollte ich es bei meinen Kindern anders machen, besser. Hereinspaziert, offenes Haus, wie gesagt. Ganz nebenbei fühlte ich mich all jenen piefigen Kleinstadtmüttern überlegen, die sich immer so komisch anstellten, wenn die Kinder mal jemanden mitbringen wollten.
Aber dann fand ich die ersten Zigarettenkippen im Kräuterbeet, und wenig später schraubte ich meinen Lieblingslippenstift auf, an dem jemand rumgenagt zu haben schien. Es waren erste Verdachtsmomente, über die ich mit den Töchtern in, sagen wir, offensiver Weise redete. Sie gelobten, ihre Freunde darüber zu belehren, wo die Grenzen zu meiner Privatsphäre verlaufen und dass ihnen Hausverbot drohe, sollten sie sie erneut überschreiten.
Offenbar beeindruckte das kaum. Denn wenig später suchte ich meine Regenjacke. Wie sich herausstellte, hatte die Pubertistin sie ihrer Freundin geliehen. Ist doch okay, oder?, sagte sie. Nun ja. Bald darauf vermisste der Vater CDs. Die Freundeder Schwester hatten ganz lieb nachgefragt, ob sie die mal ... Dann war beständig die Milch alle, und im Garten fand ich beim Rasenmähen eine vor Wochen vergessene Pizza. Irgendwann war es so weit, dass der Vater und ich in der Küche im Schein der Energiesparlampe auf den alten Triptrapstühlen der Kinder beim Abendessen saßen, weil im Wohnzimmer schon alle Plätze belegt waren mit jungen
Weitere Kostenlose Bücher