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Die Puppe an der Decke

Die Puppe an der Decke

Titel: Die Puppe an der Decke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingvar Ambjörnsen
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Wochen ist Weihnachten. »Das darfst du einfach nicht! Hörst du!« Nicht allein mit dem Kleinen, nein, nicht allein, sie waren so vertrauenerweckende, solide, ernste Männer, jeder hatte einen Schlafsack bei sich, damit sie nicht das Gästezimmer für sie fertigmachen müsste. Sie waren bei Niels Petter gewesen, sie sollten grüßen, er hatte Schmerzen, sein ganzer Unterleib war geschwollen. Es war entsetzlich, da waren wir uns alle einig, wir wurden zu einer eng verflochtenen Gruppe, die im Wohnzimmer saß und es entsetzlich fand, dass in einer kleinen norwegischen Hafenstadt so etwas passieren kann, wenn es in den USA oder in Lateinamerika vorgekommen wäre, dann hätten wir das immerhin begreifen können, jetzt verstanden wir gar nichts mehr, was ging nur vor sich in dem Land, das wir bis jetzt zu kennen geglaubt hatten? Der eine hatte eine Flasche dabei, ich glaube, es war Weinbrand, er gab einen guten Schuss in die Teetassen, ich hielt die Hand über meine, ich musste doch noch fahren, sie waren freundlich und vernünftig, sie sahen es ein, sie nötigten mich nicht, wie Männer das oft tun. Zweimal ging ich auf die Toilette, ich hatte im Laufe dieses Abends sehr viel Tee getrunken, mit anderen Worten, ich saß auf demselben Sitz, den auch Niels Petter benutzt, das war ein seltsames Gefühl, es erregte mich ein wenig, ich fasste mich an, während ich mich umsah, und ich prägte mir die Gegenstände ein, die ihm gehören. Er war Hals über Kopf weggeschafft worden, nicht einmal seine Zahnbürste hatte er mitnehmen können, der Rasierer lag unter dem Spiegel, Rasierwasser, ein Morgenrock aus dunkelblauem Frottee. Er muss ungeheuer wütend gewesen sein! Da lag er nun im Bett und schlief. Wähnte sich in Sicherheit. Aber dann packen die Fremden ihn am Schopf und schleifen ihn über den ganzen Hof und treten ihm dabei ins Gesicht und in den Schritt. Sie brechen mit der Autotür seinen Arm, und Nina muss das alles mit ansehen. Das überlegte ich mir, während ich pisste und diese maskulinen Gegenstände betrachtete, die zwischen Ninas Cremes und Parfümflakons zu sehen waren, ich dachte, dass solche Dinge übrig bleiben, wenn der Tod uns eingeholt hat, sie stehen da, bis sie von anderen übernommen oder in Schachteln und Tüten gepackt und weggeworfen, auf Dachböden oder in Kellern verstaut werden. Im Wohnzimmer dann drehte sich das Gespräch weiter um das eine Thema, das war ganz natürlich, es war unmöglich, über etwas anderes zu sprechen als über diese sinnlose Gewalt, und über das Telefon, das zu den seltsamsten Zeiten schellte, wer um alles in der Welt und warum, es musste doch möglich sein, der ganzen Sache ein Ende zu setzen, aber wie? Am Ende ging ich. Ich drückte Nina an mich und reichte den Männern die Hand, und dann fuhr ich in die Stadt. Zu Hause hing die Puppe unter der Decke, ich stieß sie mit dem Zeigefinger an und redete mit Stinas Stimme auf sie ein, mit der Stimme, die Stina einmal gehabt hat, ich sagte Dinge wie, dass jetzt alles in die Brüche geht, dass jetzt das Fleisch von den Knochen fällt, und die Götter allein wissen, was noch passieren kann, wenn ein friedlicher Familienvater mitten in einer Wohnsiedlung in einer kleinen norwegischen Stadt am Meer zusammengeschlagen werden kann. Ich ließ mein Mobiltelefon eingeschaltet, als ich schlafen ging, ich legte es auf den Nachttisch, aber sie rief nicht an, und ich rief sie nicht an.

14
    Es war kälter geworden. Fast zehn Grad unter Null. Sie ging über den Strand, den jetzt eine feine Schicht Pulverschnee bedeckte, das Eis reichte vom Strand aus zwanzig Meter weit. Es war schön. Rote Wintersonne durch den Frostrauch; der Leuchtturm sah aus wie ein Märchenschloss mitten im Meer.
    Das Ferienhaus wirkte wie für den Winter geschlossen und verlassen. Keine Spur führte zu ihm hin oder von ihm fort; in der Nacht hatte es geschneit, und Leo war seit über einem Tag nicht mehr hier gewesen. Sie schaute durch das Fenster. Er hatte die Vorhänge vorgezogen, aber durch einen Spalt konnte sie das Chaos im Zimmer sehen, die Blindrahmen, den überfüllten Tisch, den von Büchern und Skizzen überladenen Sessel vor dem Fernseher, die Zeitungsstapel auf dem Boden.
    Sie fand den Schlüssel am Nagel unter der Treppe und ging hinein.
    Es roch harsch und muffig, sie leerte die Aschenbecher in eine leere Plastiktüte, die vor der Tür auf dem Boden lag, in der Küche moderten im Mülleimer die Reste eines Hähnchens, sie brachte alles nach draußen und

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