Die Puppe: Psychothriller (German Edition)
»Es geht nicht um das, was Sie damals getan haben, sondern um etwas, das jetzt passiert. Es geht um Isaac.«
»Um Isaac? Was ist mit Isaac?«
»Er ist raus.«
Jetzt entgleisen Pennys Gesichtszüge. Sie wird bleich, und ihr Mund öffnet sich, aber sie sagt nichts. Eine Standuhr in der Ecke zählt tickend die Sekunden, als wolle sie darauf hinweisen, wie die Zeit sich dehnt. Penny beugt sich vor und legt die Ellenbogen auf den Tisch.
»Er ist raus ? Wirklich?«
»Wirklich.«
»Okay, okay, okay.« Sie presst den Nasenrücken mit Daumen und Zeigefinger zusammen. »Das ist verrückt. Ich habe gerade heute Morgen noch an ihn gedacht … und er ist raus, sagen Sie? Was ist passiert? Ist er ausgebrochen?«
»Nein – er hatte eine Verhandlung und wurde entlassen. Er ist rehabilitiert.«
» Rehabilitiert? Nein – o nein. Jemand wie der wird nicht …« Sie lässt den Satz in der Schwebe. »Wohin hat man ihn entlassen?«
Caffery gibt keine Antwort.
»Nicht wieder hierher ? Das ist ein Witz, oder?«
»Sie müssen mir helfen, Einzelheiten zusammenzutragen. Ich versuche mir ein Bild von Isaac zu machen, wie er war. Womit er sich beschäftigt hat. Was ihn interessiert hat.«
»Warum?«
»Weil es mir helfen könnte herauszufinden, wohin es ihn vielleicht treiben könnte.«
»Er ist ihnen entwischt, ja? Er ist weg.«
»Ich bin nicht gekommen, um Sie zu beunruhigen – es gibt keinen Hinweis darauf, dass er gefährlich ist. Ich will nur ein Gefühl dafür bekommen, wie er ist, weiter nichts. Erzählen Sie mir, was passiert ist.«
Penny schiebt geräuschvoll ihren Stuhl zurück. Sie bleibt eine Weile stehen und knöpft nervös ihre Strickjacke auf und zu und wieder auf, während ihr Blick im Raum umherhuscht. Sie geht zu den Fenstern, die über das Tal hinausblicken. Die Bäume auf der anderen Seite färben sich im Dämmerlicht violett. Sie öffnet ein Fenster, bleibt für eine Weile stehen und schaut durch das Tal hinauf in Richtung der Upton Farm.
Dann zieht sie die Fensterläden zu und verriegelt sie. Sie geht zum nächsten Fenster und verschließt es ebenfalls und dann auch das übernächste. So geht sie um den ganzen Raum herum und verrammelt alle Fenster. Sie verschwindet in einem Nebenzimmer, wo er Berge von Obst liegen sehen kann, und er hört, wie sie dort eine Tür verschließt und verriegelt. Einen Augenblick später kommt sie quer durch das Wohnzimmer und geht zur Haustür, um sie abzuschließen.
»Mein Gott.« Sie greift nach einem Glas und setzt sich an den Tisch. Sie gießt es voll mit Pflaumen-Wodka und trinkt es in einem Zug aus. Dann noch eins. Sie wischt sich über die Augen und bemüht sich um Ruhe. »Entschuldigen Sie. Geschieht mir wohl ganz recht. Wenn Harry meinen Namen in den Bericht geschrieben hätte – wenn wir ehrlich gewesen wären –, hätte man mich gewarnt, oder?«
»Möglich.«
»Vorgestern Nacht hab ich auch meinen kleinen alten Hund verloren. Ein Unglück kommt selten allein, nicht wahr? Alles meine Schuld, ich weiß schon. Alles meine Schuld.«
Caffery sieht zu, wie sie noch einen Wodka trinkt und wie die Farbe langsam in ihr Gesicht zurückkehrt.
»Am zweiten November«, sagt sie plötzlich. »Da ist es passiert. Es war ein schrecklicher November – ein schlechtes Jahr für das Obst. Wir hatten einen nassen Sommer gehabt, und manche Bäume waren ganz leer. Ich weiß noch, dass ich befürchtete, die Tiere könnten verhungern – die Vögel und die Eichhörnchen. Und mit meinem Geschäft hatte ich gerade erst angefangen, und so habe ich mir auch deshalb Sorgen gemacht. Und ich war dabei, mir zu überlegen, wie ich die Sache mit Graham beenden sollte. Wie sich herausstellte, war es das Letzte, worum ich mir hätte Sorgen machen müssen. Später hat man mir erzählt, Isaac sei drei Stunden lang bei den Toten geblieben. Habe Dinge mit ihnen gemacht. Wenn ich nicht gekommen wäre, hätte es wahrscheinlich noch ewig dauern können.«
Caffery nickt. »Sie wissen von dem Stolperdraht, oder?«
Sie blickt auf. »Von der Bombe? Ja. Man hat gesagt, die war für den gedacht, der die Leichen finden würde – aber Isaac hat Harry erzählt, er habe vorgehabt, sie von ferne in Brand zu setzen. Er konnte mit allem fertigwerden, was er mit den Leichen angestellt hat, aber sie brennen zu sehen, das ertrug er nicht. Er hat irgendwas konstruiert, um ein Feuer anzuzünden – er war immer geschickt. Elektronik und solche Sachen. Das fiel ihm kinderleicht.«
Caffery räuspert sich. Geschickt
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