Die Puppe: Psychothriller (German Edition)
möchte, um dort zu wohnen? Bei den Geistern?«
AJ wirft ihr einen Blick zu. Er möchte nicht, dass sie die Stimmung verdirbt. Aber Melanie hat den Zusammenhang mit der Upton Farm anscheinend gar nicht mitbekommen.
»Will er immer noch in den Wald laufen?« Sie schaut lächelnd auf Stewart hinunter, der dösend vor dem Herd liegt. »Er scheint mir heute ruhiger zu sein.«
»Ich war eben mit ihm auf dem vorderen Feld. Da kann er nicht raus. Aber anscheinend war er heute Abend auch nicht daran interessiert, irgendwo hinzugehen. Stimmt’s, mein Junge?«
»Ja, heute Morgen wollte er aber.« Patience kippt das zweite Glas Cider, als wäre es ein Fingerhut. »Konnte ihn gar nicht beruhigen. Am Ende hab ich ihn mit in die Stadt genommen. Er hat mir geholfen, den Schellfisch für das Kedgeree zu kaufen.«
Erst bei dem Wort »Schellfisch« wird AJ klar, was sie da erzählt. Heute Morgen hat er, um seinen zweiten Besuch bei DI Caffery zu tarnen, Melanie erzählt, er sei mit Stewart draußen gewesen. Er späht über den Rand seines Glases, um zu sehen, ob Melanie es gemerkt hat. Er sieht es ihr nicht an. Ihre Miene bleibt unverändert. Rasch wechselt er das Thema und redet über irgendetwas x-Beliebiges, und er bildet sich ein, dass über seinem Kopf eine riesige rote Leuchtschrift blitzt: LÜGNER . LÜGNER .
Melanie ahnt anscheinend nichts davon. Sie lächelt faszinierend. Sie lacht über seine dummen Witze und macht Patience ein Kompliment zu ihrem Essen. Erst spät am Abend, als sie im Schlafzimmer sind, weiß er, dass er damit nicht durchgekommen ist. Statt ins Bett zu kommen, bleibt sie am Fenster stehen und schaut hinaus. Weder Mond noch Sterne sind zu sehen; die Welt ist von Wolken eingeschlossen. Die Bohnenspaliere und der Gartenschuppen sind im blassen Schein des elektrischen Lichts, das aus den Küchenfenstern fällt, gerade noch zu erkennen, und dahinter ist so gut wie nichts mehr.
AJ geht zu ihr und berührt vorsichtig ihre Schulter. »Mel?«
»Du hast mir erzählt, du bist nach Hause gefahren, um mit Stewart rauszugehen.«
»Ich weiß. Es tut mir leid – es tut mir leid, wirklich leid.« Er legt eine Hand an den Fensterrahmen, damit er sich vorbeugen und ihr ins Gesicht schauen kann. Es sieht versteinert und beherrscht aus. »Melanie, das war so dumm von mir. Ich lüge sonst nicht. Es war verrückt. Ich war … ich geniere mich zu sagen, warum ich gelogen habe.«
»Du kannst es immerhin versuchen.«
»Ich war in einem blöden Fachgeschäft für Heimbrauer in der Stadt. Die hatten gerade spezielle Griffe für meine alte Schraubpresse bekommen. Die sind schwer zu kriegen, und ich wollte sie mir nicht entgehen lassen. Cider, weißt du – der kann das ganze Leben ausfüllen.«
Melanie sieht ihn an, betrachtet sein Gesicht forschend und findet keine Spur von Humor. AJ möchte innerlich zusammenschrumpfen.
Wer einmal lügt …
»Melanie? Du findest jetzt schon, ich bin ein behaarter alter Hobbit.«
»Habe ich das gesagt?«
»Na ja, nein – aber für den Fall, dass du die … du weißt schon … die Neigungen eines behaarten Hobbits bemerkt haben solltest – ich wollte dieses Image irgendwie nicht noch verstärken. Dieses … Stereotyp.«
»Ich sehe keine Stereotype. Ich sehe Menschen.«
»Das sollten wir alle tun. Das ist das Gute an dir.« Er lächelt betreten. »Es tut mir leid. Verzeihst du mir?«
»Ich kann mich nicht erinnern, dass ich mal eine Beziehung hatte, in der mein Freund mich nicht belogen hat.«
»Du meinst Jonathan?«
Er hat zu schnell geantwortet. Jetzt wartet er auf ihre Reaktion, aber statt wütend zu werden, nickt sie. Sie gibt es zu.
»Es hat mich beinahe zerstört … angelogen zu werden. Ich weiß, ich habe auch schon gelogen – die ganze Sache mit Isaacs Verhandlung –, und insofern darf ich mich eigentlich nicht beschweren, aber wenn es mir passiert …?« Sie ballt hilflos die Fäuste. »Irgendwie ist da ein wunder Punkt bei mir. Ich weiß nicht, warum. Vielleicht mein Dad und sein Krebs … Mum hat mir nie erzählt, dass er sterben muss. Sie hat gelogen, hat gesagt, er kommt wieder aus dem Krankenhaus, und natürlich …« Sie zuckt die Achseln. »Tja, er ist nicht mehr heimgekommen.«
Der Teil in AJ, der zusammenschrumpfen wollte, gibt jeden Widerstand auf und wird zu einem harten kleinen Knoten, der die Knie anzieht, die Hände auf die Ohren presst und sich vor und zurück wiegt. »Ich sag dir was.« Er räuspert sich. »Wie wär’s mit einer Abmachung? Wenn ich
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