Die Puppe: Psychothriller (German Edition)
Ihr Mund bewegt sich kaum merklich, als müsse sie ein leises Lächeln unterdrücken. »Dieses Gespräch hat niemals stattgefunden«, sagt sie, ohne ihn anzusehen. »Ich habe nicht gehört, was Sie da gesagt haben, und Sie haben mich nicht nicken sehen. Okay?«
»Welches Gespräch?«
»Und übrigens, Sie haben nicht gesehen …«
»Was?«
Sie deutet mit dem Kinn über die Schulter zu der Wodkatüte auf dem Rücksitz. »Sie haben nicht gesehen, was da drin ist.«
Das Ende
Suki atmet langsamer. Das schnelle Ein und Aus – das hektische Hecheln der letzten paar Stunden – erlahmt und wird langsam und nachdenklich. Maßvolle Resignation. Für Penny ist es das erste Anzeichen dafür, dass es wirklich zu Ende geht. Bald wird es so weit sein.
Sie schaut auf die Uhr. Es ist fünf. Abends. Also wird es Abend sein, wenn Suki geht. Viel länger kann es nicht mehr dauern. Sie zieht den Quilt hoch, sodass er ein Zelt über ihr und Suki bildet – hier auf dem Boden im Büro, wo Suki zusammengerollt auf dem verschlissenen alten Bett liegt, das ihr seit fünfzehn Jahren gehört, seit sie eine winzige Welpe war. Penny war die ganze letzte Nacht und den Tag über hier. Sie ist nicht müde, nicht schläfrig. Überhaupt nicht.
»Hab keine Angst, Suki.« Sie streichelt ihr das Gesicht. »Hab keine Angst. Ich verspreche dir, es gibt nichts, wovor du Angst haben musst.«
Suki atmet wieder ein. Beinahe versonnen. Sie atmet aus, und Penny legt eine Hand auf ihre Rippen – ganz leicht nur, denn das Skelett ist so winzig, so schwach. Wie kann man bloß erwarten, dass diese Brust sich noch einmal hebt? Lächerlich! Dieser kleine alte Hund – winzig und schrumpelig ist er wie eine Walnuss. Schon als Welpe war Suki klein. Kein richtiger Zuchthund, sondern eine Welpe aus dem Tierheim, eine süße Töle mit langen Haaren, die ihr ins Gesicht hingen. Ihr Leben lang hat niemand Notiz von Suki genommen oder sie beachtet – nicht, wie man sich mit jauchzendem Ah und Oh über glanzvolle Red Setter und Weimaraner begeistert. Natürlich hat das Suki nie gestört. Sie war immer damit zufrieden, neben Penny herzuzockeln, glücklich und zufrieden mit der Welt und damit, wie sie war. Eigentlich wird niemand bemerken, dass sie nicht mehr da ist. Niemand außer Penny.
Noch ein Einatmen. Langsames Ausatmen. Penny beobachtet den Brustkorb, wartet auf das nächste Mal.
Sie wartet und wartet.
»Suki?«
Keine Reaktion.
»Suki? War’s das?«
Die Brust bewegt sich nicht. Penny drückt beide Hände an die Rippen, und ihre Fingerspitzen tasten zwischen den Knochen nach dem letzten Flattern eines Herzschlags. Nichts. Der Unterkiefer des kleinen Hundes hängt herunter, und die Barthaare um die Schnauze berühren lockig und braun das Vorderbein.
»Suki?«
Penny schaut noch einmal auf die Uhr. Fünf Minuten vergehen. Dann noch einmal fünf. Sie zwingt sich, die Sekunden im Kopf zu zählen. Alle – bis hundertachtzig. Noch einmal drei Minuten. Nichts und niemand kann so lange existieren, ohne zu atmen. Das ist eindeutig das Ende.
»Okay.« Sie wippt auf den Fersen zurück. »Okay.«
Sie weint. Nur ein bisschen, und sie hält den Ärmel hoch, um die Tränen aufzufangen. Es wären mehr, aber die dicken Tränen sind schon gestern Morgen geflossen, als der Tierarzt ihr gesagt hat, dass es zu Ende geht.
»Ich hebe dich jetzt auf.« Nach einer ganzen Weile bückt sie sich und hebt Suki auf ihren Schoß. Die Hündin bewegt sich nicht, sträubt sich nicht. Die Beine baumeln herunter. Sie wiegt nichts – nicht mehr als ein kleiner Weidenkorb. Penny kauert sich zusammen und drückt das Gesicht an das alte Mäulchen. Wiegt sie. »Alles in Ordnung, mein Mädchen. Es ist okay. Du warst so gut. So ein braves Mädchen. Danke«, sagt sie. »Vielen Dank. Für alles.«
Der Friedensnobelpreis
AJ ist wieder an diesem Ort. Die Wände der Höhle sind glatt und warm und glänzend wie poliertes Walnussholz. Auch das Loch ist da, ein kleines Stück weit rechts von ihm. Ein zarter Strang – ein Spinnwebfaden, Sommerseide – verschwindet in dem Loch, fast als wolle er ihm den Weg zeigen. Er ist sicher, wenn er an dem Faden zieht, wird ihm jedes Wunder auf Erden offenbart werden, in einem einzigen kosmischen Blitz. Aber gerade, als er danach greifen will, dringt sprudelndes Kinderlachen an sein Ohr. Er fährt herum und schaut zum Höhleneingang. Da draußen ist etwas. Ein vertrautes Trippeln. Ein Schatten gleitet über den Boden.
Er wacht auf und schnappt nach Luft.
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