Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Puppe: Psychothriller (German Edition)

Die Puppe: Psychothriller (German Edition)

Titel: Die Puppe: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
Vom Netzwerk:
Schwer atmend und mit pochendem Herzen. Seine Hände suchen einen Halt.
    »Scheiße Scheiße Scheiße .«
    »AJ? Alles in Ordnung, Kollege?«
    Er klappert mit den Lidern. Big Lurch und einer der Pfleger sitzen auf dem anderen Sofa und starren ihn an. Er öffnet den Mund, stemmt sich mühsam auf den Ellenbogen hoch und starrt sie verständnislos an. Er ist im Fernsehzimmer des Pflegepersonals. Die Digitaluhr an der Wand zeigt 21:45. Der Fernseher läuft. Eine Frau, die nichts anhat als ein Paar schenkelhohe Stiefel, lässt das Becken kreisen und schleudert ihr blondes Haar herum wie eine Peitsche.
    AJ dreht sich stöhnend in das feucht riechende Sofa und drückt die Hände ans Gesicht. Er schüttelt den Kopf. Er ist jetzt so müde, dass es nicht mehr witzig ist. Er möchte schlafen, aber er kann nicht. Langsam, sehr langsam wird er verrückt. Die Irren sind dabei, die Anstalt zu übernehmen, und das System frisst seine eigenen Jungen. Er wünscht sich ein T-Shirt mit der Aufschrift: Man muss nicht verrückt sein, um hier zu arbeiten, aber es hilft . Diese Laufbahn ist ein Highway to Hell – wieso sitzt er hier fest? Es hat eine Zeit gegeben, da hat er sich vorgemacht, er werde die Welt verändern, indem er für die Patienten sorgt. Er hat sogar gedacht, er tut das alles, damit Mum stolz auf ihn ist – damit sie glaubt, er sei fürsorglich und rücksichtsvoll. Wenn er jetzt auf diesen Idealismus zurückblickt, denkt er ohne Sarkasmus: Hätte ich doch besser einen Job bei einem Brillendiscounter angenommen.
    Er hat in diesem Beruf die menschliche Natur von ihrer schlimmsten Seite gesehen. Er hat Kerle gesehen, die mitten auf der Hauptstraße kleine Kinder erstochen haben, er hat eine (inzwischen längst verstorbene) Frau gepflegt, die ihren behinderten Mann umgebracht hatte, indem sie ihm kochendes Wasser über den Kopf schüttete und ihn dann drei Tage im Rollstuhl sitzen ließ, bis er an den Verbrennungen und einer Infektion gestorben war. AJ bekam jedes Mal Herzrasen, wenn er sie mit einer Tasse Kaffee in der Hand sah, die sie erst haben durfte, nachdem sie zehn Jahre in der Klinik verbracht hatte. Dann war da der Typ, der das Pony seines Nachbarn zerhackt, gekocht und gegessen hatte, weil es ihn »komisch angeschaut« hatte. Und der AIDS -Kranke, der seine gebrauchten Spritzen mit der Nadel nach oben in den Sandkasten des Kinderspielplatzes in seiner Nachbarschaft gesteckt hatte. Und so geht es immer weiter.
    Irgendwann hat er entschieden, dass er nicht mehr wissen will, warum jemand hier eingesperrt ist. Er hat sich gedacht, er könnte besser für sie sorgen, wenn er nicht weiß, was sie getan habe. Streng genommen muss er das alles wissen – die Mitarbeiter müssen die Krankengeschichte der Patienten kennen –, aber er hat gelernt, sich dabei auf das bloße Minimum zu beschränken. So ist es ihm lieber – seine Patienten sind für ihn wie Fremde im Pub oder in der Bahn. Keine Illusionen, keine vorgefassten Meinungen. Es gibt einfach einige, die er mag, und andere, die er nicht mag, und er bemüht sich, alle mit der gleichen Sorgfalt zu versorgen.
    »Man sollte dich für den Friedensnobelpreis nominieren«, sagt Patience. »Dafür und für deine Arbeit mit den Bäumen.«
    Er fühlt sich nicht wie ein Nobelpreisträger. Ganz im Gegenteil.
    »Okay.« Er schwenkt die Beine vom Sofa. Richtet sich auf und bleibt einen Moment lang sitzen, reibt sich das Gesicht. Es riecht seltsam im Zimmer, ein bisschen wie nach Fisch – vielleicht ist es etwas, das sie hier gegessen haben. »Okay«, wiederholt er. »Ich werde einen Rundgang machen.«
    Niemand nimmt Notiz von ihm. Die Frau auf dem Bildschirm ist anscheinend mitten in einem lang gezogenen Orgasmus. Sie japst und quietscht und spielt sich wund. Massiert sich die Brüste. Big Lurch und der andere Pfleger glotzen. AJ hofft, dass er im Leben noch nicht auf einen gespielten Orgasmus hereingefallen ist. Die Chancen sind aber vermutlich ziemlich hoch.
    »Ich habe gesagt, ich mache einen Rundgang.«
    Keiner der beiden Männer wendet den Blick vom Fernseher. » Hey! « Plötzlich ist er wütend. »Hey. Seht mich an.«
    Beide drehen sich erschrocken um. Big Lurch fummelt mit der Fernbedienung herum und schaltet den Fernseher aus. »Sorry, AJ, Alter. Entschuldigung.«
    »Okay – und nachdem ich jetzt eure Aufmerksamkeit habe, darf ich vielleicht fragen, was hier so abscheulich riecht? Sind die Mülleimer ausgeleert? Ist das Geschirr abgewaschen? Ihr werdet nicht dafür

Weitere Kostenlose Bücher