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Die Puppe: Psychothriller (German Edition)

Die Puppe: Psychothriller (German Edition)

Titel: Die Puppe: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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etwa zwanzig Meilen weit südlich von Bristol in Ost-West-Richtung verläuft. Zweitausend Jahre lang, bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts, haben diese Hügel als Steinbrüche gedient. Weniger als ein Fünftel ist davon heute noch in Betrieb, und viele der stillgelegten Anlagen sind jetzt geflutet. Steile zwanzig Meter liegen zwischen dem Rand des Wassers und der Oberkante der Steilwand, und unter dem taubenblauen Wasserspiegel geht es noch einmal bis zu sechzig Meter tief nach unten. Mehrere Steinbrüche sind durch unterirdische Kanäle mit einem Netz von natürlichen Höhlen verbunden, die unter dem Namen Elf’s Grotto, die Elfengrotte, bekannt sind und die mit ihren Säulen, Krümmungen und gewölbten Decken wie die Katakomben unter einer alten Kathedrale aussehen – aus dem Fels gehauen nicht von Menschenhand, sondern von dem Wasser, das das gesamte System durchflutet.
    Steinbruch Nummer acht bildet das Ende der Kette von Steinbrüchen. Tief im Wald versteckt, ist er großenteils in Vergessenheit geraten, und kaum ein Mensch kommt je hierher. Keine öffentliche Straße endet hier, nur ein ausgefahrener, von Schlaglöchern übersäter Schotterweg, der so selten benutzt wird, dass die wilden Tiere ihn in Besitz genommen haben. Heute Nacht aber huschen sie in die Dunkelheit davon, denn ein Auto nähert sich, und das Licht seiner Scheinwerfer hüpft blitzend unter den überhängenden Bäumen dahin. Das Auto ist klein – ein Renault Clio –, ein Stadtflitzer, entwickelt für Asphaltstraßen und enge Parkplätze, nicht für Fahrten im Gelände. Äste kratzen kreischend über das Dach, als er ruckartig die Piste verlässt und auf den schmalen Pfad einbiegt, der den Steinbruch umrundet. Am Fuße eines turmhohen Stapels behauener Felsquader, die hier schon so lange liegen, dass Bäume aus den Ritzen wachsen, bleibt das Auto stehen. Der Motor verstummt. Das Licht der Scheinwerfer erlischt, und was bleibt, sind zwei Glühwürmchen, die sich im Wasser spiegeln.
    Flea Marley öffnet ein Fenster und streckt den Kopf hinaus. Sie lauscht nach allem, was sich regt: einem Husten, dem Schlurfen von Füßen, dem verräterischen Rieseln von Steinchen an der Felswand. Aber es ist still im Steinbruch und bitterkalt – eisig kalt. Mit ihrem Fernglas betrachtet sie das hufeisenförmige Amphitheater aus kahlem Fels. Berge von pulverisiertem Kalkstein am anderen Ende des Steinbruchs glänzen matt in der Dunkelheit. Sterne und Wolken spiegeln sich im stillen Wasser.
    Mehr als fünfundvierzig Meter unterhalb dieses Wasserspiegels – eine unvorstellbare Tiefe: Sie entspricht der Höhe eines zwölfstöckigen Hochhauses –, im lichtlosen eiskalten Wasser gibt es ein nicht markiertes, nirgends verzeichnetes Loch in der Felswand. Es kommt auf keinem Plan dieses Steinbruchs vor, und man findet es nur aus dem Gedächtnis und indem man sich blind auf seinen Instinkt verlässt. Wenn man dort eindringt, befindet man sich am Anfang eines Gangs, der drei Meter tief ins Gestein reicht und dann jäh nach oben führt: ein natürliches, mit Wasser gefülltes Bohrloch. Es hat einen Durchmesser von einem Meter und steigt sechsundvierzig Meter senkrecht nach oben. Außerdem bietet es Zugang zu Höhlen, die auf keinem anderen Weg erreichbar sind. Die Höhlen sind teils natürlich, teils von den Römern in den Stein gehauen worden, und sie sind instabil und unzugänglich – von diesem einen versteckten Weg abgesehen. Für einen Taucher gibt es in diesem Felskamin nur zwei Richtungen: aufwärts und abwärts. Er ist so eng, dass man es sich unterwegs nicht anders überlegen und einfach kehrtmachen kann: Hat man sich für eine Richtung entschieden, gibt es kein Zurück. Bei dem ungeheuren Wasserdruck muss man ein sehr erfahrener Taucher sein, um wohlbehalten aufzusteigen.
    Caffery ist kein Taucher, und er hat nicht die Beziehungen, die Flea besitzt. Er weiß nur, dass Misty hier irgendwo ist. Bisher war er geduldig, aber wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hat, zieht er es auch durch. Es ist ihm verdammt noch mal zuzutrauen, dass er hier einen irrwitzigen Tauchereinsatz inszeniert, vielleicht privat, vielleicht mit einer Einheit von einer anderen Polizeibehörde. Er ist hochrangig genug, um das zuwege zu bringen, wenn er will, und er bräuchte nur einen fadenscheinigen Vorwand. Flea kann es sich nicht leisten, dieses Risiko einzugehen.
    Sie trägt ein gewöhnliches Fleece am Oberkörper. Der Unterkörper steckt in einem Taucheranzug, den sie über

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