Die Puppe: Psychothriller (German Edition)
seinen Schreibtisch.
»Und, AJ? Was kann ich für Sie tun?«
AJ hält eine Hand vor den Mund und hustet verlegen.
»Na ja, äh – bevor wir weiterreden – die Sache muss unter uns bleiben.«
Caffery zieht eine Braue hoch. »Theoretisch ist das okay. Aber versprechen kann ich es Ihnen erst, wenn ich weiß, worum es geht.«
»Es ist äußerst wichtig, dass niemand von meinem Besuch hier weiß.«
»Bedroht Sie jemand?«
»Nein, das ist es nicht – es ist …« Er zögert und sprudelt dann hervor: »Da, wo ich arbeite, ist etwas im Gange. Besser gesagt, da war etwas im Gange. Wir sind eine Hochsicherheitsklinik, falls Sie sich erinnern, und da sind Dinge passiert, die anscheinend nicht in Ordnung sind … Mir ist nicht wohl damit.«
Caffery nimmt die Brille ab und reibt sich müde die Augen. »Nur als Hinweis für die Zukunft, Mr LeGrande: ›Mir ist nicht wohl‹ ist ein Ausdruck, mit dem Polizisten nicht viel anfangen können. Erwarten Sie also nicht, dass wir sofort alle Hebel in Bewegung setzen, wenn Sie damit um sich werfen. Aber reden Sie nur weiter.«
»Okay. Das wird jetzt leicht irre klingen – aber bitte sehr, ich arbeite ja auch in einem Irrenhaus. Oder?«
»Dürfen Sie es denn überhaupt ein Irrenhaus nennen?«
»Ich ja, Sie nicht. Sie sind Außenseiter. Wir Insider haben bestimmte Privilegien. Und glauben Sie mir, wir haben sie verdient.« Er lächelt kurz. »Es ist eine Klapsmühle. Und solange ich mich erinnern kann, macht in unserer speziellen Klapsmühle eine besonders irre Geschichte die Runde. Es ist …« Er seufzt ein bisschen verlegen. »Es ist eine Geistergeschichte , die von Zeit zu Zeit unter den Patienten zirkuliert. Sie sind leicht beeinflussbar, das können Sie sich vorstellen. Wir versuchen es einzudämmen, wo wir können. Aber es ist schon ein paarmal vorgekommen, und ich weiß von mindestens drei Fällen, in denen es mit einer bizarren Anhäufung von SVV geendet hat.«
» SVV ?«
»Sorry – selbst-verletzendes Verhalten. Leute schneiden sich und so weiter. Vor ein paar Jahren ist es bis zu einem Todesfall eskaliert – vielleicht ein Selbstmord, aber das wissen wir nicht mit Sicherheit. Und vor einer Woche gab es wieder einen Todesfall – durch Herzinfarkt, sagen die Ärzte. Doch da stimmt irgendetwas nicht.«
Caffery klopft nachdenklich mit dem Stift auf den Tisch und betrachtet AJs Gesicht. Es ist eine traurige Geschichte, und er hört sie nicht zum ersten Mal. Ein Selbstmord in einer geschlossenen Klinik macht die leitenden Mitarbeiter immer unglücklich – zutiefst unglücklich –, aber selten steckt etwas dahinter, für das sich das MCIT interessieren muss. Vielleicht kann diese Angelegenheit schnell zu den Akten gelegt werden.
»Ein Patient hat sich selbst ein Auge ausgerissen.«
»Scheußlich.«
»Scheußlich, aber nicht ungewöhnlich in einer, Sie wissen schon, Klapsmühle. Aber er hatte die gleichen Halluzinationen wie die Patientin, die letzte Woche gestorben ist. Sie hatte Wahnvorstellungen vor ihrem Infarkt. Und vor ein paar Jahren war es genauso, als die andere Patientin gestorben ist. Sie war überzeugt, sie habe ›Maude‹ gesehen – Entschuldigung, das habe ich noch nicht gesagt: Sie nennen dieses Ding ›Maude‹.«
»›Maude‹.«
AJ schüttelt den Kopf. »Das ist eine lange Geschichte. Aber was immer dieser Patientin durch den Kopf ging, war so schlimm, dass sie eines Tages aus der Klinik spaziert – und niemand sieht sie wieder. Oder erst Monate später, als ihre Leiche auf dem Gelände gefunden wird. Bei der Autopsie wurde nie genau festgestellt, woran sie gestorben ist. Ich glaube, im Hinterkopf hatten alle die Vermutung, es sei Selbstmord gewesen, doch unternommen wurde weiter nichts.«
»Wie hieß die Patientin?«
»Pauline Scott.«
Bei Caffery regt sich eine vage Erinnerung.
Es war vor seiner Zeit, aber er ist ziemlich sicher, es handelt sich um einen Fall, den Flea mal erwähnt hat, vor allem, weil er alle Beteiligten in Verlegenheit gebracht hat: Beechway, weil eine Patientin so einfach zur Tür hinausspazieren konnte, und den Mann aus Fleas Einheit, der mit der Suche beauftragt wurde und die Parameter nicht weit genug ausdehnte. Es ist so leicht, jemanden zu übersehen, der nur wenige Schritte außerhalb davon liegt. Cafferys Augen bewegen sich nicht, aber seine Aufmerksamkeit wandert durch das Büro zu Mistys Gesicht. Eine Suche wie diese? Dabei kann es auf Meter, ja, auf Zentimeter ankommen.
»Nur«, sagt AJ, »ich glaube, es
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