Die Puppe: Psychothriller (German Edition)
Punkte für die Tatsache addieren, dass man keinen Leichnam zum Begraben hat, und dann bekäme man eine Zahl – eine endliche Menge –, die einem garantiert, dass der Schmerz nach exakt 573 Tagen aufhört. Mein Gott, wenn man die pakistanische Rupie in Zlotys umrechnen kann, wenn man das menschliche Genom kartographiert und herausfindet, woraus Marsgestein besteht – wieso kann man dann nicht ausrechnen, wann der Schmerz zu Ende ist?
Sie steht auf, kippt ihr Frühstück in den Mülleimer und wäscht den Teller ab. Sie hat einen langen Tag vor sich. Mit etwas Glück fällt ihr eine Erklärung ein, bevor Jack Caffery im Suchgebiet aufkreuzt. Hat sie Pech, wird es der kälteste, nasseste Tag des Jahres werden, und an seinem Ende wird sie heulend unter der Dusche stehen.
Falschparker
AJ erinnert sich gut an Caffery. Beim Strafrechtsforum hat er zwei weibliche Delegierte über ihn tuscheln hören, als Caffery das Hotel verließ. Sie haben gekichert und sind rot geworden, und AJ hat daraus geschlossen, dass der Inspector attraktiv ist. Wahrscheinlich genau aus den Gründen, weshalb die Frauen bei AJ nicht kichern und rot werden. Irgendetwas strahlt Caffery aus – eine Art Selbstbewusstsein oder Gleichgültigkeit, AJ weiß es nicht genau, aber er wünscht, er hätte etwas davon.
Als er jetzt in seinem Büro sitzt, sieht AJ, dass der Inspector hier kein bisschen weniger gut aussieht, der Scheißkerl. Er ist schätzungsweise Anfang vierzig und an den Schläfen so grau, wie es manche Frauen wahnsinnig attraktiv finden. Seine Augen bewegen sich ein bisschen zu schnell, doch AJ vermutet, hier sind Intelligenz und Entschlossenheit am Werk, nicht Unaufrichtigkeit. Es gibt nicht die Andeutung eines Privatlebens in diesem Büro. Keine gerahmten Fotos oder Urkunden, nur ein paar Messtischblätter des Bezirks Avon and Somerset, übersät von bunten Stecknadeln, und das riesige Foto einer Frau, die AJ irgendwie bekannt vorkommt. Ist es die Prominente, die letztes Jahr verschwunden ist? Kitty Soundso? Er kann sich nicht an die Einzelheiten erinnern.
»Zelda Lornton – die letzte Woche an einem Herzinfarkt verstorben ist …« Aus seinem Rucksack zieht AJ das Bild, das Zelda gemalt hat, und legt es auf den Tisch. Caffery beugt sich vor und betrachtet es. »Sie hatte ungefähr drei Wochen vorher eine Episode mit Selbstverletzung. Sie hat gesagt, dieser – dieser Geist, ›Maude‹, hätte das getan. Er hat etwas auf ihre Arme geschrieben – eine Menge Bibelsprüche. Lauter Zeug, bei dem schwer vorstellbar ist, dass Zelda selbst darauf gekommen sein könnte. Zwei Wochen später war sie tot.« Er streicht mit der Fingerspitze über das glatte Gesicht auf der Zeichnung. »Das habe ich bei ihren Arbeiten aus der Ergotherapie gefunden. Und dieser unheimliche kleine Scheißer? Sieht genauso aus, wie die Patienten dieses Wesen beschreiben. Und hier … der Pullover, braun-orange, und die Puppen in seinen Händen?«
»Ja?«
»Das passt auf einen unserer Patienten. Es kann kein Zufall sein, Zelda hat es gemalt.«
»Auf einen Ihrer Patienten?« Caffery schaut ihn über den Rand der Brille hinweg an. AJ kann nicht erkennen, ob er sich lustig macht oder die Sache ernst nimmt. »Einer Ihrer Patienten ist der Scooby-Geist?«
»Wenn ich Patient sage, meine ich Expatient. Er wurde vor zwei Tagen entlassen. Das heißt, er ist« – AJ deutet mit dem Kopf zum Fenster – »irgendwo da draußen. Und ich bin nicht sicher, dass das gut ist.«
Caffery fängt an, sich ein paar Notizen zu machen. Als Erstes das Datum. »Name?«
»Isaac Handel.«
»Isaac …« Caffery hört auf zu schreiben und sieht AJ an. »Isaac Handel? Ist das der Isaac Handel von der Upton Farm?«
»Sie kennen ihn?«
»Ich weiß, wer er ist. Der Fall liegt vor meiner Zeit, und der leitende Ermittler ist vor einer Weile in den Ruhestand gegangen. Aber Handel und das, was auf der Upton Farm passiert ist? Darüber wird hier viel gesprochen.«
»Weil das, was er getan hat, ziemlich einprägsam war?«
»Einprägsam.« Caffery nickt. »Ja, so könnte man es nennen. Einprägsam.«
»Ich weiß nicht viel darüber. Ich habe ihn ein paar Jahre lang betreut und erst jetzt erfahren, dass er mit der Upton Farm zu tun hatte. Ich bin zwar nicht weit davon entfernt aufgewachsen, und ich weiß, er hat seine Eltern umgebracht, aber was da im Detail passiert ist … na ja, Sie kennen das: Lauter Gerüchte, und die Leute sprechen mit gedämpfter Stimme.« Einen Moment lang fragt er sich,
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