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Die Puppenspieler

Die Puppenspieler

Titel: Die Puppenspieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Selbstverständlichkeit in die Barken springen konnte wie die Venezianer. Boote als ständiges Fortbewegungsmittel in einer Stadt zu benutzen, so wie andere Pferd und Wagen nahmen … es war verwirrend.
    »Sagt«, wandte Richard sich an den Gondoliere, »könnt Ihr mir erklären, wie Eure Stadt auf dem Wasser gebaut werden konnte? Ich habe bisher niemanden gefunden, der in der Lage gewesen wäre, mir das zu erklären. Ist es ein Geheimnis?«
    Der Mann schüttelte seinen Kopf.
    »Nein, Messer, und wir sind sehr stolz darauf, daß es uns gelungen ist, denn unsere Stadt ist auch darin in der Welt einzigartig. Bei jedem Gebäude haben unsere Vorfahren zunächst um den Bauplatz aus Pfählen und Planken eine Spundwand errichtet und das Wasser innerhalb dieser Wand herausgepumpt. In den Baugrund wurden dann Eichenpfähle gerammt und mit einigen Lagen geteerter Bretter abgedeckt. Wißt Ihr, so erhält man eine ebene Baufläche. Anschließend mauerte man das Fundament mit Steinquadern bis zur Wasserlinie. Die Spundwand wurde entfernt, und schon stand ein Palazzo!«
    »Eigentlich ganz einfach«, sagte Hänsle verwundert.
    »Das sind alle große Erfindungen«, antwortete Richard, »wenn man darauf gekommen ist.« Etwas anderes beschäftigte ihn. »Messer, Ihr sagt, als Stadt auf dem Wasser sei Venedig einzigartig. Aber einer der Euren, der große Marco Polo, hat doch auf seinen Reisen durch Cathay eine ähnliche Wasserstadt entdeckt?«
    Der Venezianer kratzte sich am Kinn. »Nehmt es mir nicht übel, aber wir in Venedig haben diesem Marco Polo von Anfang an nicht geglaubt. Wißt Ihr, warum sein Buch ›Il Milione‹ heißt? Weil man ihn den Marco der Millionen Lügen nannte, als er vom Großkhan und allen möglichen Dingen erzählte! Natürlich hat sich jetzt einiges als wahr erwiesen, doch ein Venezianer überlegt es sich zweimal, bevor er einem zweiten Venezianer alles abkauft. Die Genueser allerdings«, sein Gesicht heiterte sich auf, »die Genueser sind so verrückt, das zu tun, wenigstens einige von ihnen. Vor etwa zehn Jahren hatte ein Genuese die Stirn, hierherzukommen, hierher, nach Venedig, wo wir diese Hunde doch immer gehaßt haben, und das mit Recht. Jedenfalls, dieser Genuese war wirklich ein Verrückter. Er wollte den Rat der Zehn um Erlaubnis bitten, hier nach hinterlassenen Papieren von Marco Polo zu forschen, weil er in dessen ›Il Milione‹ entdeckt zu haben glaubte, daß die Erde – faßt Euch – eine Kugel sei, und nun nach weiteren Hinweisen suchte.« Der Mann schüttelte den Kopf. »Es muß der Mond gewesen sein, denn selbst die Genueser sind normalerweise nicht so verrückt.«
    Er brachte sie zur Piazza San Marco – sie wollten doch beten oder etwa nicht? Und welcher Ort war besser geeignet als die Kirche des heiligen Markus, die seine heiligen Überreste enthielt, von zwei tapferen Venezianern unter Einsatz ihres Lebens hierhergebracht! Richard unterdrückte mit Mühe ein Grinsen.
    Die Fugger handelten natürlich auch mit den Todfeinden der Venezianer, den Genuesern, und von einem genuesischen Kaufmann hatte er erfahren, wie diese berühmte Reliquienaneignung tatsächlich vonstatten gegangen war.
    Die beiden Venezianer hatten in einer dunklen Nacht die Gebeine des heiligen Markus gegen die des heiligen Claudius ausgetauscht und den Evangelisten in ein Faß mit Schweinefleisch und Kohl gestopft, was bei den islamischen Zöllnern den gewünschten Erfolg gehabt hatte – das Faß konnte anstandslos passieren.
    »Ah, San Marco«, sagte ihr venezianischer Führer eben lyrisch, »was wären wir ohne seinen Schutz!«
    Er zeigte ihnen die Pietra del Brando, eine gedrungene, rötliche Säule, von der aus Gesetzesänderungen oder feierliche Verkündigungen verlesen wurden, und überließ sie dann ihrem frommen Vorhaben. Pflichtbewußt begaben sich beide in die Markuskirche. Richard waren die klaren, hohen Linien der Dome und Kathedralen seiner Heimat vertraut, doch diese Kirche mit ihren runden Kuppeln sah eher so aus, wie er sich eine Moschee vorgestellt hatte.
    Es war, als betrete man eine dunkle, kreuzförmige Höhle, die von Gold und Edelsteinen funkelte. Die Säulen bestanden aus Jaspis und Alabaster, Porphyr und Achat, zwei Paar auch aus weißem und schwarzem Marmor, verziert mit Löwen- und Adlerköpfen aus prachtvollem Elfenbein. »Weißt du, was ich glaube?« sagte Hänsle. »Das ist keine Kirche, das ist der Palast Gottes!«
    Sie blieben nicht lange im Palast Gottes, was Richard begrüßte, denn er

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