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Die Puppenspieler

Die Puppenspieler

Titel: Die Puppenspieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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hatte seine Fehde mit der Kirche mitnichten begraben. Doch empfänglich für Schönheit, wie er war, konnte er sich nicht helfen – er war beeindruckt. Als sie heraustraten, drehte er sich noch einmal um und entdeckte, daß die Kirche im Grunde aus Ziegelstein gebaut war. Nur die Fassade bestand aus Marmor, aber aus was für Marmor! Ein bunt zusammengewürfeltes Mosaik aus Rot- und Grüntönen.
    Wenn sie indessen geglaubt hatten, der beflissene Angestellte wäre verschwunden, dann hatten sie sich geirrt. Er wartete vor dem St.-Clemens-Portal auf sie.
    »Messer«, sagte Hänsle mit einer komischen Grimasse, »ist es nicht möglich, daß wir etwas außergeschäftlich zu Orten gehen, an denen ein Mann sein Vergnügen haben kann?«
    Der Angesprochene strich nachlässig mit einem seiner Daumen über den anderen und sagte gelassen: »In Venedig, Messer, ist alles möglich.«
    »Das war die frechste Aufforderung zu Bestechung, die ich je erlebt habe«, sagte Hänsle später, als sie wieder im Fondaco dei Tedeschi waren, wutschnaubend.
    »Was hast du erwartet? Warum bist du übrigens nicht darauf eingegangen?«
    »Weil mir gerade noch rechtzeitig eingefallen ist, daß der wackere Eberding mich gewarnt hat, ich solle dich hier um Himmels willen mit niemandem in Verbindung bringen, der wieder deinen Drang zu Ritterlichkeit wecken könnte – und weil ich nicht genügend Geld für diesen Wucherer und die Mädchen hatte! Was ist eigentlich aus deiner Zigeunerin geworden?«
    »Oh«, antwortete Richard betont beiläufig, so daß Hänsle mißtrauisch wurde, »das kleine Mädchen? Ich habe sie in Bozen bei ihren Leuten gelassen. Sag mal, habe ich da richtig gehört? Eberding hat dich zu meinem Aufpasser ernannt?«
    Einen Wunsch wollte sich Richard in Venedig unbedingt noch erfüllen. Daher brachte er Hänsle am Abend mit einigen Überredungskünsten dazu, ihm das nötige Geld zu leihen, um ihren venezianischen Führer zu bezahlen.
    »Und wofür?« meinte Hänsle kopfschüttelnd. »Damit er dich zu einer unchristlichen Zeit am Morgen zum Hafen hinausrudert. O Richard!«
    Es war noch dunkel, als das Boot des Venezianers Richard vor dem Fondaco erwartete, doch der Mann hatte keine Schwierigkeiten, in der Dämmerung seinen Weg durch die Kanäle zu finden. Richard hörte das Wasser gegen das Boot klatschen, viel lauter, als es ihm gestern vorgekommen war. Die Gebäude tauchten nur kurz in dem sich lichtenden Dunkel auf, um bald wieder zurückzuweichen.
    Unwillkürlich erinnerte sich Richard daran, wie sich die Griechen den Weg in die Unterwelt vorgestellt hatten – eine Fahrt über den Fluß Styx … Er tauchte seine Hand ins Wasser, wie um sich zu vergewissern, daß es nicht eine flammende Lohe war, wie der Styx, und die Kälte brachte ihn wieder in die Wirklichkeit zurück. Als er die Hand hob, sah er das Wasser auf der gewölbten Fläche glitzern und schaute empor. Die Sonne begann sich über Venedig zu heben.
    Bald konnte er die ersten Schiffe ausmachen, die in dieser Nacht im Hafen von Venedig geankert hatten, und betrachtete sie ehrfurchtsvoll. Riesige, dickbauchige Geschöpfe, neben denen das Boot, das sein Führer nun geschickt durch den Hafen lenkte, wie eine über die Wasseroberfläche hüpfende Mücke wirkte. Da lagen, als sie um eine Hafenmauer kamen, zwei der angeblich über fünfzig Kriegsgaleeren, die Venedigs Herrschaft im Mittelmeer sicherten, und die ersten großen Frachtschiffe nutzten schon den Morgenwind, um aus dem Hafen herauszugelangen. Auf das Meer …
    Richard stand vorsichtig auf, um das Boot nicht ins Wanken zu bringen, schaute Richtung Osten, soweit es der rote Feuerball dort zuließ, und wurde abermals enttäuscht, denn er hatte die Inseln vergessen, die Venedig vorgelagert waren.
    »Fahren wir noch etwas weiter hinaus!« rief er dem Venezianer zu.
    »Aber, Messer, Ihr wißt doch, daß es verboten ist, Murano anzulaufen?«
    »Ich will auch gar nicht nach Murano, ich möchte nur«, Richard stockte. Es klang so kindisch. »Ich möchte nur die offene See sehen«, schloß er leise.
    Gewiß, er hätte sich mit dem bescheiden können, was er jetzt erblickte. Es war auch prächtig genug: Doch das unruhige, rötlich überhauchte Blau um ihn hätte auch zu einem großen See gehören können, bis auf den Salzgeruch, den er tief einatmete.
    Sein Führer hatte offensichtlich entschieden, daß er genug für seine Verrücktheiten bezahlte, und zuckte schicksalsergeben die Achseln. »Schön, so weit kann ich Euch noch

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