Die Puppenspieler
die Hände auf ihre Knie. »Es heißt bei uns«, begann sie, und Richard fiel auf, daß sie zum ersten Mal ohne Erbitterung oder Trauer von ihrem Volk sprach, »daß dort der König der Zwerge sein Reich hat. Nur zu Sonnenuntergang kann ein Sterblicher es betreten, und alle Schätze, die er dort findet, gehören ihm, aber er muß darauf achten, daß er das Reich der Zwerge auch wieder verläßt, bevor der letzte Strahl der Sonne erloschen ist, denn wenn er das nicht tut, muß er bleiben.«
»Aber er könnte doch einfach beim nächsten Sonnenuntergang wieder gehen«, wandte Richard ein. Er fühlte sich selbst ein wenig verzaubert an diesem Abend und durchaus bereit, an Zwerge zu glauben.
Saviya schüttelte den Kopf. »Ja, das könnte er, aber weißt du, was dann geschieht? Im Reich der Zwerge und Feen vergehen in einer einzigen Nacht hundert Jahre, und jemand, der glaubt, nur ein paar Stunden dort geweilt zu haben, kommt zurück und findet seine Frau tot und seine Kinder erwachsen. Und er selbst ist so alt geworden, daß ihn niemand mehr kennt.«
Wie um die ungewollt ernste Stimmung zu brechen, die sie mit ihrem letzten Satz geschaffen hatte, gähnte Saviya und schloß: »Aber du brauchst keine Angst zu haben, Riccardo. Du bist jetzt einer von uns, und das kleine Volk und wir sind schon lange Verbündete. Dich würden sie gehen lassen.«
Richard legte noch etwas Holz ins Feuer. Wie in der vorherigen Nacht lag Saviya, um sich zu wärmen, in seinen Armen. Er war so entspannt und glücklich, daß er beinahe nicht mehr gehört hätte, wie Saviya flüsterte:
»Ich muß dir etwas sagen, Riccardo.«
Eher widerwillig fragte er zurück: »Was ist …«
Plötzlich spürte er einen ungeschickten, leidenschaftlichen Kuß auf seinen Lippen. Wenn man ihn auf glühende Kohlen geworfen hätte, hätte er nicht schneller hochfahren können.
»Saviya, was …« Er erinnerte sich, daß er mit einem Kind sprach, und mäßigte sich. »Es freut mich, daß du mich gern hast, Saviya, aber …«
»Gern hast!« unterbrach ihn Saviya heftig. »Ich liebe dich, Riccardo! Bei dem Blutstausch habe ich dich angelogen. Es ist eine Geste zwischen Verlobten, und jetzt sind wir verlobt, und ich liebe dich!«
Richard überlegte verzweifelt, was er sagen sollte. In der Dunkelheit konnte er nur den Umriß von Saviyas Gesicht erkennen, ihr schwarzes Haar, ihre weitgeöffneten Augen.
»Saviya«, flüsterte er endlich, »du glaubst nur, daß du mich liebst, weil ich dich gesundgepflegt habe. Ich … ich habe dich sehr gern, aber du bist doch noch ein Kind, und …«
Saviya trommelte mit ihren kleinen Fäusten auf den Boden. »Gern! Kind! Ach, du weißt überhaupt nichts, Riccardo!« Er versuchte schnell, dem Gespräch eine heitere Wendung zu geben.
»Dann sei doch froh, daß ich dich nicht liebe, denn an einen Mann gekettet zu sein, der von nichts eine Ahnung hat, wäre doch schrecklich.«
Lange Zeit hörte er nichts mehr.
Endlich sagte Saviya mit fast unkenntlicher Stimme: »Wenn ich so aussehen würde wie eine Frau … wenn ich eine Frau wäre … würdest du mich dann lieben, Riccardo?«
Es war eine seltsame Nacht, zuviel war geschehen, und ehe Richard es sich versah, hatte er das ausgesprochen, was er für die Wahrheit hielt: »Nein … nein, wahrscheinlich nicht.«
Er wollte hinzufügen, daß er sie in gewissem Sinne doch liebte, und das gerade, weil sie ein Kind war und keine Frau, doch ehe er es sagen konnte, schlug sie ihm ins Gesicht.
»Ich hasse dich! Es hat überhaupt nichts damit zu tun, daß ich noch nicht alt genug bin, es ist nur, weil ich eine Zigeunerin bin, gib es doch zu! Du bist genauso wie all die anderen! Oh, ich hasse dich!«
Es hatte keinen Sinn, ihr zu widersprechen.
Den nächsten Tag legten sie in feindseligem Schweigen zurück. Keiner nahm die prächtigen bunten Wiesen wahr. Kaum ein Blick wanderte zu der schier endlosen Kette von Burgen und Kirchen hinauf, die sie auf den Hügeln und Gipfeln entlang ihres Weges begleiteten, und als Bozen in Sicht kam, umgeben von zahlreichen Weinhängen, war es fast eine Erleichterung. Glücklicherweise hatte Eberding daran gedacht, am Stadttor eine Nachricht für Richard zu hinterlassen.
So wurde ihm anstandslos Einlaß gewährt, und man wies ihm auch den Weg zur Fuggerfaktorei. Saviya sprach kein Wort, bis Richard ihr im Vorhof müde vom Pferd half. Sie hob ihr Kinn und sagte kalt: »Ich hoffe, ich sehe dich nie mehr wieder, Riccardo!«
Damit rannte sie fort, hinkend, weil
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