Die Puppenspieler
rudern.«
Ein Glück, dachte Richard unwillkürlich, als die Wellen spürbar höher wurden, daß sie diesmal nicht mit einer dieser schmalen Gondeln unterwegs waren. Er schaute in den Horizont, sah, wie der Strand der größten, langgezogenen Insel immer näher kam, und sein Pulsschlag beschleunigte sich.
»Ist das Murano?«
»Nein, Messer, Murano liegt zu unserer linken Seite.«
Das kleine Schiff umrundete den sandigen Inselstreifen, und Richard spürte, wie die ruhigen, abgeschlossenen Wasser der Lagune immer unruhiger wurden. Sie schienen sich nun zwischen zwei Landzungen zu befinden.
Seine Augen tränten mittlerweile, aber er konnte es sehen, vor ihm, jenseits der Küstenenden, überall, unermeßlich und unendlich: das offene Meer. Es türmte sich dem Himmel entgegen, nicht wie das Gebirge, das er nun kannte, nein, wie ein endloser Ballen aus weichem blauem Samt, und der Himmel, dessen Röte allmählich verblaßte, verschmolz mit diesem Blau so, daß Richard einen Moment lang bereit war, zu glauben, man könnte direkt in die Wolken hineinsegeln.
Es machte schwindlig, diese Grenzenlosigkeit so unmittelbar zu fühlen, und einem unerklärlichen Impuls folgend, erhob sich Richard und sprang kurzentschlossen aus dem heftig schwankenden Boot.
Das Wasser machte ihn taub für das Geschimpfe des Venezianers. Er gab sich ganz dem Gefühl hin, von einer Woge zur nächsten getragen zu werden, und schwamm, bis ihn sein Pflichtbewußtsein und das schlechte Gewissen wieder einholten.
»Bei allen Heiligen, ich bin froh, daß Ihr keiner von den Tedeschi seid, die in Venedig bleiben«, erklärte sein Führer erzürnt, als Richard naß, aber glücklich und immer noch benommen wieder in dem kleinen Boot saß. »Seid so gut und erklärt Eurem Capo Maestro, daß es nicht meine Schuld ist, wenn Ihr durch das Fondaco geht wie ein Betrunkener, der nachts in den Kanal gefallen ist.«
Und im Grunde seines Herzens war Richard nicht allzu traurig darüber, Venedig schon wieder zu verlassen. Die schweigsamen Kanäle, die Palazzi, aus denen immer wieder lautes Gelächter drang, erinnerten ihn auch daran, daß seine Eltern sich hier kennengelernt hatten – auf dem Sklavenmarkt.
Vieles hatte er nach der Beschreibung seiner Mutter wiedererkannt und war dankbar für Hänsles Gesellschaft gewesen, die es ihm nicht gestattete, ins Grübeln zu verfallen. Unmöglich, mit Hänsle über etwas Ernsthafteres, geschweige denn seine weit zurückreichende Erinnerung zu sprechen. Trotzdem oder gerade wegen seiner Unbekümmertheit würde er den Freund vermissen.
Richard wußte nicht genau, warum, doch inmitten aller neuen Eindrücke begann er zu erfassen, was er zurückgelassen hatte. Er vermißte Jakob, seine kühle, gleichmäßige Stimme und ihr abendliches Schachspiel, er vermißte Sybilles unaufdringliche Fürsorge, Ursulas Fröhlichkeit, Anselm und selbst die ständige quälende Versuchung der Magd Barbara. Doch am allermerkwürdigsten war, daß er auch dieses seltsame Zigeunermädchen vermißte, das er doch nur so kurz gekannt hatte.
Richard war nur einer von mehreren Gehilfen, die Eberding aus Augsburg mitgenommen hatte; ein großer Teil der Angestellten, die in der neuen Filiale beschäftigt sein würden, würde jedoch italienischer Herkunft sein. Einige stammten aus dem Fondaco in Venedig, andere warteten in Florenz auf die Ankunft von Eberding.
Die Schwaben waren von der weiten, fruchtbaren Poebene, durch die sie jetzt ritten, begeistert. »Weiß Gott, was hier wächst, würde doch genügen, um ein Dutzend Fürstentümer zu ernähren«, meinte einer von ihnen, worauf ein Schatten über das Gesicht seines Nebenmannes aus Venedig glitt.
»Deswegen erheben auch mehr als ein Dutzend Anspruch darauf«, erwiderte dieser.
Zu den Augsburger Gehilfen zählte auch Wolfgang Schmitz, ein umgänglicher junger Mann, der jedoch schon bewiesen hatte, daß er hart wie ein Stein sein konnte, wenn es ans Feilschen ging. Er wurde vorgeschickt, wenn es galt, den Herbergswirten günstige Preise abzuringen. Häufig stellte sich nämlich heraus, daß die sich so großzügig gebenden Wirte einem viel mehr auftischten, als man verlangt hatte, und anschließend entsprechend großzügige Bezahlung erwarteten.
»Das kann doch nicht Euer Ernst sein«, entrüstete sich ein Wirt, als die Reisenden in der Nähe von Ferrara eingekehrt waren.
»Aber«, wandte ein Augsburger schüchtern ein, »das war doch der ausgemachte Preis …«
»Was heißt hier ausgemacht?
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