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Die Puppenspieler

Die Puppenspieler

Titel: Die Puppenspieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Nichtsnutz, wo bleibt das heiße Wasser?«
    Richard starrte aus seiner schrägen Lage direkt auf die Bude eines Fischhändlers, der seine Waren anpries, doch von rechts drang eine zänkische Stimme an sein Ohr: »Giovanni Pertazzo, müßt Ihr mit Eurem stinkenden Teufelszeug unbedingt vor meinem Stand fuhrwerken?«
    Ohne davon abzulassen, sein Messer zu wetzen, während der Lehrling Richards Kinn mit warmen, feuchten Tüchern behandelte, erwiderte der Angesprochene: »Ihr seid es, der stinkt, Enrico! Ohne meine Kunst würde kein Mensch Eure Grasbüschel kaufen, weil dann jeder sofort riechen würde, was für einen Mist Ihr verhökert!«
    »Das nehmt Ihr zurück!«
    Der Barbier fing an, mit der Klinge vorsichtig an Richards Kinn entlangzufahren. »Keineswegs«, erklärte er vergnügt.
    » Stupido !«
    » Asino !«
    » Villano !«
    »Selber Bauer!«
    So fuhren sie fort, sich zu beschimpfen, während der Barbier gleichzeitig in aller Gemütsruhe seinen Kunden rasierte und der Kräuter- und Gemüsehändler seine Waren schichtete.
    Frisch rasiert und von der Reichhaltigkeit florentinischen Vokabulars beeindruckt, verließ Richard den Mercato Vecchio durch die Via Calimala. Dort hatten sich neben den Tuchhändlern auch die Drucker breitgemacht, und die Schreie und Flüche der Lehrlinge, die sich mit der neuen Technik herumschlugen, standen dem Lärm am Mercato Vecchio um nichts nach.
    Er kam am Zunfthaus der Wollweber und Seidenwirker vorbei und stand schließlich vor dem Mercato Nuovo, wo auch an diesem Tag die Bänke, Schutzdächer und Stehpulte der Geldwechsler und -verleiher aufgestellt waren. Richard überlegte einen Augenblick. Richtig, hier mußte er rechts abbiegen, in die Via por Santa Maria.
    Doch in diesem Augenblick sah er ungläubig, wie ein Mann, der sich gerade aus einer Gruppe aufgeregter Wechsler gelöst hatte, seine Hosen auszog und mit dem nackten Hintern dreimal den wohl einzigen größeren Fleck berührte, der von keinem Stand bedeckt war, einer kreisrunden, mit schwarzen und weißen Steinen bepflasterten Stelle. Richard wandte sich an den Nächststehenden.
    »Was hat das zu bedeuten?« In seiner Verblüffung hatte er Deutsch gesprochen, doch es dauerte einige Sekunden, bevor ihm das klar wurde. Er wiederholte die Frage noch einmal in der Sprache der Stadt.
    »Nun, man sieht, daß Ihr hier fremd seid. Francesco hat Bankrott gemacht, und das wurde soeben öffentlich erklärt. Dazu muß man bei uns zum Carroccio gehen und …«
    »Ja, ich habe es gesehen.«
    »Oh«, der Mann schlug sich plötzlich gegen die Stirn, »Jammer und Elend!«
    »Es muß wirklich schlimm für ihn sein«, meinte Richard teilnahmsvoll, »was hat er …«
    »Nicht er! Ich! Ich bin der, den man beklagen muß. Mir ist gerade eingefallen, daß er auch bei mir noch Schulden hat! Oh, una cosa cattiva , cattivissima …«
    Richard sah, daß der bankrotte Geldwechsler, inzwischen wieder angezogen, erneut mit unverminderter Heftigkeit mit den anderen stritt, und ging achselzuckend weiter. Bald erreichte er den Ponte Vecchio und beeilte sich, den Gestank nach frischem Blut und rohem Fleisch aller Art, den die Brücke der Metzger verbreitete, hinter sich zu bringen.
    Santo Spirito hatte nichts von dem prunkvollen, farbenprächtigen Äußeren, mit dem hier andere Kirchen aufwarteten. Seine klaren, einfachen Linien, die schmucklose gelbliche Mauer, die so harmonisch auf das Hellrot der Ziegel abgestimmt schien, erinnerten Richard flüchtig an ein anderes Kloster, doch er verdrängte den Gedanken sofort wieder.
    Er fand das Skriptorium der Bibliothek von Studenten bevölkert, wie man es ihm prophezeit hatte, und sog kurz den Geruch nach Büchern, alten und neuen, ein. Das war es! Das, was er sich immer gewünscht hatte. Das Wissen der Welt.
    Doch schon, als er sich an den Mönch wandte, der Aufsicht führte, und um einige der Titel, die er notiert hatte bat, erlebte er eine Ernüchterung.
    »Es tut mir leid«, sagte der Padre bedauernd, »›De arte maleficae‹ kann ich Euch nicht ohne Erlaubnis des Priors geben, und die anderen Bücher sind im Moment verliehen. Fra Mario dort drüben arbeitet mit ihnen, glaube ich. Doch er ist ein schneller Leser, und wenn Euch in der Zwischenzeit mit etwas anderem gedient werden kann …«
    Richard warf einen flüchtigen Blick in die Richtung, in die der Bibliothekar gewiesen hatte, sah nur eine schwarzhaarige Gestalt in dunkler Kutte, die ihm den Rücken zuwandte, und spürte ein Aufwallen heftiger

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