Die Puppenspieler
Überraschung, daß ihm die Gesellschaft Fra Marios durchaus angenehm war. Der Mönch teilte viele seiner eigenen Interessen, und bald diskutierten sie lebhaft über Ficinos These der absoluten Harmonie zwischen Körper und Geist.
Das ging so lange gut, bis Mario mit einer Grimasse sagte: »Bei dem ewigen ›Padre‹ komme ich mir so alt vor wie der Heilige Vater persönlich. Warum nennt Ihr mich nicht Mario, Riccardo?«
Mit einem Schlag wurde Richard wieder nüchtern. Was tat er da eigentlich? Eine zweckdienliche Bekanntschaft war alles, was er im Sinn gehabt hatte. Ganz gewiß kein Freundschaftsangebot. Es war nicht zu fassen – er hatte sich fast von diesem Priester einlullen lassen. Höflich, aber sehr distanziert antwortete er: »Das wäre Eurem geistlichen Stand gegenüber respektlos, oder?«
Mario betrachtete ihn schweigend, ohne etwas zu erwidern. Die Stille schien sich endlos hinzuziehen, und Richard hörte über das Stimmengewirr hinweg, wie einige der Gäste in den Gesang der Musikanten mit einstimmten:
Die Zeit, den Ort, wozu sie singen?
Wo solche Sonne glänzt, ist immer Helligkeit.
Bei dieser schönen Frau, da ist das Paradies …
Endlich fragte der Mönch leise: »Was hat die Kirche Euch angetan, Riccardo?«
Richard war jenseits aller Zornesausbrüche in seiner sicheren, einsamen Gedankenwelt, die er sich geschaffen hatte. Er hob unverbindlich die Schultern.
»Was soll sie mir angetan haben? Ihr Florentiner habt einen Hang zu Übertreibung. Ich bringe unserer Mutter Kirche die größte Bewunderung entgegen. Nur bin ich es nicht gewohnt, ihre Vertreter anders als mit Ehrfurcht zu behandeln.«
Mario Volterra glaubte ihm kein Wort. Er hatte von Anfang an etwas in dem jungen Tedesco gespürt, das ihn irritierte, und dem wollte er auf den Grund gehen. Er hätte jetzt mit einem Satz wie ›In Santo Spirito wart Ihr nicht übertrieben ehrfurchtsvoll‹ dem Gespräch wieder eine leichtherzige Wendung geben können. Statt dessen sagte er nichts und setzte sein Schweigen, wie er es öfter tat, als wirkungsvolle Waffe ein. Die leichte Melodie des Liedes gab einen merkwürdigen Hintergrund zu dem stummen Duell ab.
Frisches, purpurn schimmerndes Veilchen,
Das die weiße Hand pflückt …
»Was singen die da eigentlich?« fragte Richard schließlich, um die Unterhaltung wieder in Gang zu bringen und seine völlige Gleichgültigkeit gegenüber dem vorher Gesagten – und noch mehr dem Ungesagten – zu demonstrieren.
»Eine von Lorenzos Balladen«, erwiderte Mario und hob die tintenschwarzen Augenbrauen. »Aber das war eben eine von Ciceros Lieblingsmethoden. Ihr lenkt ab, Riccardo.«
»Balladen schreibt er auch?« fragte Richard, ohne auf die letzte Bemerkung einzugehen.
»Sonette, Balladen, Episches und canzoni a ballo , Karnevalslieder. Neulich hat er mit Poliziano zusammen ein ganzes Buch mit Liedern veröffentlicht.«
Richard gab vor, sich den eben aufgetragenen Krammetvögeln zu widmen, doch die nächste Frage, die er stellte, kam aus echtem Interesse. »Und wie macht er das – woher nimmt er die Zeit, meine ich? Er hat doch immerhin eine Bank und eure ganze Stadt am Hals.« Richard dachte an den arbeitsbesessenen Jakob, der die ganze Woche in seinem Kontor verbrachte – was auch für Ulrich zutraf, obwohl dieser weit weniger zu tun hatte. In den tiefblauen Augen des Priesters funkelte von neuem Heiterkeit.
»Ach, ihr Tedeschi mit eurer gewissenhaften, starren Einstellung zur Zeit! Wie es der Bank geht, weiß ich nicht, aber in Florenz hat sich noch niemand über zu wenig Regierung beklagt – eher umgekehrt.«
Er deutete auf einen der Männer, der heftig auf Lorenzo einredete. »Seht Euch nur Giovanni Orlandini an; er gehört zu den Vertretern des Viertels Santa Croce im Rat der Siebzig.«
Der Volksvertreter machte sich keineswegs die Mühe, seine Stimme zu dämpfen. »Trotzdem finde ich, Florenz sollte die Rebellion gegen Ferrante von Neapel unterstützen. Er ist ein grausamer Tyrann, und wir sind eine Republik.«
»Gewiß«, erwiderte Il Magnifico mit der Höflichkeit, die ihn nie im Stich ließ und der er einen großen Teil seines Erfolges verdankte. »Ihr habt vollkommen recht, was die Grausamkeit Ferrantes betrifft, Giovanni. Nur haben wir nun einmal ein Bündnis mit ihm«, er hob die Hand, um stürmische Proteste abzuwehren, »ich weiß, er bricht ebenfalls Verträge, wenn es ihm paßt. In unserem Fall hat er es aber noch nicht getan. Und habt Ihr schon einmal überlegt, was eine
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