Die Puppenspieler
nutzen. Doch um Richard nun etwas, wie Eberding bei sich dachte, die Zügel anzulegen, beschäftigte er ihn in erster Linie im Kontor, ließ ihn Briefe schreiben, Buch führen und Rechnungen ausstellen, bis die ersten Schreiben von Jakob Fugger eintrafen. Erst daraufhin gab Eberding Richard in einem Ton nachsichtiger Großmut die Anweisung, sich nun etwas mehr der Organisation des Goldschmuck- und Juwelenhandels zu widmen.
Richard bedankte sich und sagte nichts weiter dazu, obwohl er sich denken konnte, woher Eberdings Sinneswandel rührte. Auch er hatte einen Brief von Jakob bekommen, und er nützte seine erste freie Stunde, um sich in seine Kammer zurückzuziehen und das Schreiben zu entschlüsseln.
Auf dem Bogen, der über und über mit Jakobs geschwungener, klarer Handschrift überzogen war, stand in der linken Ecke eine kleine Ziffer. Richard rechnete rasch nach. Auf der Liste, die er zuletzt in der goldenen Stube gesehen und auswendig gelernt hatte, stand die sechs für den heiligen Augustinus. Sie verriet ihm außerdem die Sprache, in die er das Ganze übersetzen mußte, um die richtige Wortanzahl und Reihenfolge für die weitere Entzifferung zu bekommen. In diesem Fall handelte es sich um Latein, was ihm keine weitere Mühe bereitete. Insgeheim mußte er lächeln. Richard hielt es für keinen Zufall, daß Jakob als Schlüssel für diesen ersten Brief ausgerechnet den streitsüchtigen Aurelius Augustinus gewählt hatte. Das Lächeln wurde, während er sich hastig die Übersetzung notierte, zu einem breiten Grinsen. Verschlüsselt begann der Brief nach der Grußformel:
»Augsburger Zünfte schätzen Zölle, die man ständig beachten muß, deswegen so sehr, weil sie selbst davon Gewinn haben. Daß Calimala in Florenz, die darunter leiden, besonders seit Genua die Zölle erhöht hat, die Angelegenheit anders sehen, wundert mich nicht; aber was soll man machen? Doch nun zu dir. Bei neuen Bekanntschaften sieh nach ihrer Herkunft, frage nach ihrer Familie; ich möchte nicht, daß du dich mit übler Gesellschaft einläßt. Vermeide Du, zu spielen; wenn, nimm keine Karten – sie sind ein welsches Übel und das Unglück vieler junger Männer. Du gehst nicht zur Universität, sondern bitte zur Messe, und das jeden Tag, dort hörst du alles, was ein junger Mann zu wissen braucht, der Rest ist des Teufels. Glaube mir, die Universitäten scheinen mir wahrlich unsere Köpfe mit unnützem oder gefährlichem Zeug füllen zu wollen. Wie viele Jünglinge irren, wie viele nennen veraltet, was doch nur wahres Christentum ist …«
Nun machte sich Richard an den zweiten Teil der Entschlüsselung. Den Namenstag des heiligen Augustinus feierte die Kirche am achtundzwanzigsten August. Davon zog er drei Tage ab, eine geheime Absprache zwischen ihm und Jakob, von der Eberding, der, wie nun alle wichtigeren Angestellten der Fugger in Italien, bei seinen eigenen Briefen eine ähnliche Verschlüsselung anwandte, nichts wußte, und gelangte so auf den fünfundzwanzigsten August. Zwei-fünf-acht, dachte Richard, umgekehrt anzuwenden: acht-fünf-zwei. Er unterstrich bei allen Sätzen außer der kurzen, der nur vier Worten bestehenden Überleitung, jedes achte, fünfte und zweite Wort und schrieb sie in dieser Reihenfolge nieder. Anschließend las sich der Briefanfang so:
»Beachte« – Richard ersetzte das in Gedanken durch ›Beobachte‹, was im Lateinischen die gleiche Bedeutung haben konnte – »die Zünfte, besonders die Calimala. Frage nach neuen Karten, wenn Du zur Universität gehst. Unsere erscheinen mir veraltet. Wie viele …«
Er entschlüsselte zuerst stockend, dann immer schneller und flüssiger. Als er am Ende der zweiten Seite angelangt war, schloß er einen Augenblick lang die Augen, um sich den Inhalt nochmals einzuprägen. Dann hielt er Jakobs Brief und seine eigenen Notizen über die winzige Flamme einer Kerze und beobachtete, wie sich das Pergament erst bräunlich färbte und dann immer mehr zusammenzog, um schließlich in Asche überzugehen.
Märkte, Vorzimmer und Schenken waren in allen Ländern und zu allen Zeiten ein hervorragender Ort für Neuigkeiten und Gerüchte, und Richard brauchte nicht lange, um die beliebtesten Wirtshäuser ausfindig zu machen. Gerne wäre er ab und zu gemeinsam mit den anderen Gehilfen aus dem Fondaco losgezogen. Doch der Zusammenhalt, der auf der Reise entstanden war, bröckelte nun. Es gab vieles an Richard, das die anderen störte. Er war mit den Fuggern verwandt und mit
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